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E-Book - Geisterritter

E-Book - Geisterritter

Titel: E-Book - Geisterritter
Autoren: C Funke
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noch für die alten Häuser, die sie wie eine Schar gut gekleideter Diener umgaben. Ich sah nur den Vollbart auf dem Sofa vor unserem Fernseher sitzen, zu seiner Linken meine Mutter,rechts meine Schwestern, die darum stritten, wer ihm zuerst auf den Schoß klettern durfte, und Larry, der Verräterhund, zu seinen Füßen. Während die Popplewells sich über meinen Kopf hinweg über das Jahr stritten, in dem die Kathedrale erbaut worden war, sah ich mein verwaistes Zimmer vor mir und meinen leeren Stuhl in meiner alten Schule. Nicht, dass ich auf dem je besonders gern gesessen hätte, aber nun rührte mich schon der Gedanke daran zu Tränen … die ich mir mit Almas lavendelverseuchtem (und inzwischen schokoladenbraunem) Taschentuch aus den Augen wischte.
    Alle weiteren Erinnerungen an meinen Ankunftstag sind in heimwehkranken Nebel gehüllt, aber wenn ich mich anstrenge, tauchen ein paar unscharfe Bilder auf: das Tor zu dem alten Haus, in dem die Internatsschüler untergebracht sind (»erbaut 1565, Jon!« – »Unsinn, Edward, 1594, und der Anbau, in dem er schlafen wird, stammt von 1920«), enge Flure, Zimmer, die nach Fremde rochen, fremde Stimmen, fremde Gesichter, Essen, das so sehr nach Heimweh schmeckte, dass ich kaum einen Bissen herunterbrachte …
    Die Popplewells hatten mich einem Dreibettzimmer zugeteilt.
    »Jon, das hier sind Angus Mulroney und Stuart Crenshaw«, verkündete Alma, als sie mich ins Zimmer schob. »Ich bin sicher, ihr werdet die allerbesten Freunde werden.«
    Ach ja? Und was, wenn nicht?, dachte ich, während ich die Poster musterte, die meine künftigen Mitbewohner an die Wände gehängt hatten. Natürlich war das einer Band dabei, die ich hasste. Zu Hause hatte ich mein eigenes Zimmer gehabt, mit einem Schildan der Tür, das verkündete: »Eintritt für Fremde und Familienmitglieder strengstens verboten« (auch wenn meine kleinste Schwester es nicht lesen konnte). Niemand hatte neben oder unter mir geschnarcht. Keine Schweißsocken auf meinem Teppich (außer meinen eigenen), keine Musik, die ich nicht mochte, oder Poster von Bands UND Fußballteams an der Wand, die ich verabscheute. Internat. Mein Hass auf den Vollbart hätte Hamlet alle Ehre gemacht (nicht, dass ich damals irgendetwas über Hamlet gewusst hätte).
    Stu und Angus gaben sich alle Mühe, mich aufzumuntern, aber ich war zu unglücklich, um mir auch nur ihre Namen zu merken. Ich nahm nicht mal die Weingummis an, die sie mir aus ihrem geheimen (und streng verbotenen) Süßigkeitsvorrat anboten. Als meine Mutter abends anrief, ließ ich keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie das Glück ihres einzigen Sohnes einem vollbärtigen Fremden geopfert hatte, und hängte mit der grimmigen Gewissheit auf, dass sie eine ebenso schlaflose Nacht verbringen würde wie ich.
    Internat. Licht aus um 20:30 Uhr. Zum Glück hatte ich meine Taschenlampe mitgebracht. Ich verbrachte Stunden damit, Grabsteine mit dem Namen des Vollbarts zu zeichnen, während ich auf die harte Matratze und das blödsinnig flache Kissen fluchte.
    Ja. Meine erste Nacht in Salisbury war ziemlich finster. Natürlich waren die Gründe für mein abgrundtiefes Unglück vollkommen lächerlich, gemessen an dem, was folgte. Aber wie sollte ich ahnen, dass Heimweh und der Vollbart bald meine geringsten Sorgen sein würden? Ich habe mich seit damals oft gefragt, ob esso etwas wie Schicksal gibt, und wenn ja, ob man ihm aus dem Weg gehen kann. Wäre ich auch irgendwann in Salisbury gelandet, wenn meine Mutter sich nicht wieder verliebt hätte? Oder hätte ich Longspee, Ella und Stourton ohne den Vollbart nie getroffen? Vielleicht.

2
    Drei tote Männer

    M eine neue Schule sah ich am nächsten Tag. Vom Internat war es nur ein kurzer Fußweg über den Domhof, und diesmal warf ich der Kathedrale immerhin einen verschlafenen Blick zu, als Alma Popplewell mich daran vorbeiführte. Die Straße dahinter war von Buchen gesäumt und hallte wider vom Geschrei erschreckend wacher Erstklässler. Alma legte mir schützend den Arm um die Schulter, was ziemlich peinlich war, vor allem, als die ersten Mädchen an uns vorbeiliefen.
    Das Schulgelände liegt am Ende der Straße hinter einem schmiedeeisernen Tor, an dem man sich beim Hinüberklettern leicht die Hosen zerreißt, aber an diesem Morgen stand es weit offen. Das Wappen, das es schmückt, zeigt nur eine enttäuschende weiße Lilie auf blauem Grund, keine Einhörner und Löwen, wie auf dem an der Stadtmauer. »Nun, das ist schließlich
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