Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Herzen

Dunkle Herzen

Titel: Dunkle Herzen
Autoren: Nora Roberts
Vom Netzwerk:
höchstpersönlich jede einzelne Skulptur, die gezeigt werden sollte, ausgewählt hatte, wurde sie von Zweifeln geplagt.
    Vielleicht lag es daran, daß die Kritiker ihre erste Ausstellung vor zwei Jahren so begeistert aufgenommen hatten. Jetzt sonnte sie sich im Ruhm und hatte demzufolge
viel mehr zu verlieren. Und sie wußte, daß die Werke, die ausgestellt wurden, ihre Glanzstücke waren. Wenn diese für mittelmäßig befunden wurden, dann war sie selbst als Künstlerin mittelmäßig.
    Konnte es ein vernichtenderes Urteil geben?
    Besser, sie machte sich um greifbarere Dinge Sorgen. Sie stand auf und öffnete die Vorhänge. Die Sonne ging gerade auf und überzog die Straßen von Manhattan mit einem rosigen Glanz. Als Clare das Fenster aufstieß, fröstelte sie in der Kühle des Frühlingsmorgens.
    Draußen war noch alles ruhig. Von fern drang das Rumpeln eines Müllwagens auf seiner morgendlichen Tour herüber, und an der Ecke Canal und Green sah sie eine Stadtstreicherin, die einen Einkaufswagen mit all ihren weltlichen Besitztümern vor sich herschob. Das Quietschen der Räder hallte hohl von den Hauswänden wider.
    In der Bäckerei gegenüber brannte Licht. Clare hörte leise Klänge aus Rigoletto und schnupperte den köstlichen Duft frischgebackenen Brotes. Ein Taxi ratterte mit klappernden Ventilen vorbei, dann herrschte wieder Stille. Sie hätte mutterseelenallein in der Stadt sein können.
    War es das, was sie wollte, fragte sie sich. Allein leben, sich ein ruhiges Plätzchen suchen und in der Einsamkeit vergraben? Manchmal kam es ihr so vor, als schwebe sie haltlos im leeren Raum, unfähig, echte Bindungen einzugehen.
    Lag hier der Grund für das Scheitern ihrer Ehe? Sie hatte Rob geliebt, ja, sich jedoch nie an ihn gebunden gefühlt. Und als alles vorüber war, empfand sie zwar Bedauern, aber keine Reue.
    Vielleicht hatte Dr. Janowski doch recht, und sie verdrängte die Reue nur, so, wie sie seit dem Tod ihres Vaters jeglichen Kummer in sich hineinfraß. Emotionen konnte sie lediglich durch ihre Kunst ausdrücken.
    Und was war daran so schlimm? Clare wollte gerade die Hände in die Taschen ihres Bademantels schieben, als ihr aufging, daß sie ihn gar nicht anhatte. Eine Frau, die in Soho nur mit einem dünnen T-Shirt bekleidet am offenen Fenster
stand, mußte verrückt sein. Ach, was soll’s, dachte sie und lehnte sich noch weiter hinaus. Vielleicht war sie ja verrückt.
    So stand sie da, das hellrote Haar noch vom Schlaf zerzaust, das Gesicht blaß und abgespannt, sah zu, wie der Tag anbrach, und lauschte dem Lärm, mit dem die Stadt erwachte.
    Dann wandte sie sich ab, bereit, mit ihrer Arbeit zu beginnen.
     
    Es war schon nach zwei Uhr, als Clare den Summer hörte. Das surrende Geräusch ging im Zischen des Schweißbrenners und der aus der Stereoanlage dröhnenden Mozartklänge beinahe unter. Flüchtig erwog sie, es zu ignorieren, aber da die Arbeit an ihrer neuen Skulptur nicht so recht voranging, bot die Unterbrechung eine willkommene Entschuldigung, vorläufig aufzuhören. Sie stellte den Schweißbrenner ab, zog die Schutzhandschuhe aus und durchquerte ihr Studio. Als sie die Gegensprechanlage betätigte, trug sie immer noch Schutzbrille, Helm und Arbeitsschürze.
    »Ja bitte?«
    »Clare? Angie hier.«
    »Komm hoch.« Clare tippte den Sicherheitscode ein, um den Fahrstuhl freizugeben. Nachdem sie Helm und Brille abgenommen hatte, ging sie nachdenklich um die halbfertige Skulptur herum.
    Sie stand auf dem Schweißtisch im hinteren Teil des Lofts, umgeben von Clares Werkzeugen – Zangen, Hämmer, Meißel, Schweißbrenneraufsätze und dem robusten Stahlwagen, der ihre Acetylen- und Sauerstoffflaschen enthielt. Ein darunter ausgelegtes riesiges quadratisches Blech schützte den Fußboden vor Funkenflug und herabtropfendem heißen Metall.
    Clares Arbeit beherrschte das ganze Loft. Überall lagen Granitbrocken, Kirschholzblöcke, Asche, Stahlrohre und Metallklötze herum, Stemmeisen, Schmirgelpapier, Schweißutensilien und Lötkolben waren im ganzen Raum verstreut. Seit jeher lebte Clare gern mit ihrer Arbeit auf Tuchfühlung.
    Mit zusammengekniffenen Augen und vorgeschobener Unterlippe musterte sie ihr jüngstes Projekt. Ihr hatte etwas anderes vorgeschwebt. Als sich die Fahrstuhltür öffnete, machte sie sich nicht die Mühe, sich umzudrehen.
    »Hab ich’s mir doch gedacht.« Angie LeBeau warf ihre schwarze Lockenmähne zurück und tappte mit einem Fuß, der in einem scharlachroten italienischen Pump
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher