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DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend

DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend

Titel: DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend
Autoren: Unknown
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Gott weiß wohin, mit meinem Mädchen an der Seite – ich nannte sie »mein Mädchen«, gerade als ob sie es wirklich wäre, und dabei hatte ich nicht mal genug Geld bei mir, sie nach Hause zu bringen! Aus lauter Nervosität begann ich umherzurutschen und alle Taschen zu durchwühlen, denn vielleicht hatte ich doch Glück und fand noch irgendwo fünf Shilling oder sogar zehn, an die ich nicht mehr gedacht hatte. Wahrscheinlich störte ich sie aber mit dieser Sucherei, denn plötzlich zupfte sie mich am Ohr und sagte: »Hör auf mit dem Gezappel!«
    Ja, wie soll ich es erklären… Es ging mir durch und durch. Warum, weiß ich nicht. Bevor sie mich zwickte, hielt sie mein Ohrläppchen einen Augenblick lang fest, als ob sie die Haut befühlte und sie gern mochte, und dann erst kam dieses lässige Zupfen. Genau wie man es mit Kindern macht, und dazu der Ton, in dem sie es sagte, so als kennten wir uns schon jahrelang und machten jetzt einen kleinen Ausflug zusammen. »Hör auf mit dem Gezappel.« Vertraut, kameradschaftlich, und mehr als das.
    »Hör mal«, sagte ich, »es tut mir leid, ich hab was furchtbar Blödes gemacht. Ich hab Billetts bis zur Endstation gelöst, weil ich neben dir sitzen wollte, aber wenn wir angelangt sind, werden sie uns an die Luft setzen, und dann sind wir meilenweit draußen, und ich hab nur sechs Shilling in der Tasche.«
    »Du hast doch Beine, nicht?« fragte sie.
    »Was meinst du damit?«
    »Sie sind schließlich zum Gehen da. Meine sind's jedenfalls«, antwortete sie.
    Da wußte ich, daß es nichts ausmachte; böse war sie auch nicht, der Abend war also gerettet. Ich wurde richtig vergnügt und drückte sie an mich als Anerkennung dafür, daß sie ein so feiner Kerl war – die meisten Mädchen hätten mir die Augen ausgekratzt –, und dann sagte ich: »Soviel ich weiß, sind wir nicht an einem Friedhof vorbeigekommen. Ist es sehr schlimm?«
    »Ach wo, es kommen ja noch andere«, sagte sie. »Ich nehm's nicht so genau.«
    Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte. Ich hatte gedacht, sie wollte an einer Haltestelle beim Friedhof aussteigen, weil es die nächste zu ihrer Wohnung sei, so wie man sagt, »Ich steige bei Woolworth aus«, wenn man in der Nähe wohnt. Ich grübelte eine Weile darüber nach, und dann fragte ich: »Was meinst du damit, es kommen noch andere? So viele Friedhöfe liegen ja meistens nicht an der Busstrecke.«
    »Ach, ich meinte nur so im allgemeinen«, antwortete sie. »Gib dir keine Mühe, mich zu unterhalten, ich mag dich am liebsten, wenn du still bist.«
    Dies war nicht etwa eine Ohrfeige, so hatte sie es nicht gesagt. Ich wußte gleich, was sie meinte. Ein Schwatz ist ja ganz nett mit Leuten wie Thompsons, beim Abendbrot zum Beispiel; man erzählt sich, was tagsüber passiert ist, und dann liest einer etwas aus der Zeitung vor, und der andere sagt: »Ist es wohl zu glauben?«, und so redet man weiter, hier ein Wort, bis einer gähnt und sagt: »Zeit, ins Bett zu kriechen.« Ich unterhalte mich auch gern mit dem Chef, bei einer Tasse Tee zwischendurch am Vormittag oder nachmittags um drei herum, wenn wenig zu tun ist. »Ich sage Ihnen offen: was diese Idioten in der Regierung anstellen, ist alles Pfuscherei, sie sind keinen Deut besser als die Gesellen vorher«, und dann wird er unterbrochen, weil jemand Benzin tanken kommt. Auch zu meiner alten Mutter geh ich gern auf einen Schwatz, was ja nicht allzuoft vorkommt, und sie erzählt mir, wie sie mir, als ich noch ein Knirps war, den Hintern verhauen hat. Dabei sitz ich auf dem Küchentisch, genau wie früher, und sie bäckt Mürbekuchen und gibt mir vom Rand und sagt: »Den hast du ja immer am liebsten gemocht.« Das nenne ich ein Gespräch, das nenne ich Unterhaltung.
    Aber mit meinem Mädchen brauchte ich mich nicht zu unterhalten. Ich wollte nichts anderes, als sie so wie jetzt im Arm halten und mein Kinn gegen ihren Kopf lehnen; und das hatte sie auch gemeint, als sie sagte: »Ich mag dich am liebsten, wenn du still bist.« Ich hatte es auch am liebsten. Aber da war noch etwas, was mir keine rechte Ruhe ließ: Würde ich sie küssen können, bevor der Bus hielt und wir an der Endstation abgesetzt wurden? Ich finde nämlich: Den Arm um ein Mädchen legen ist eine Sache, sie küssen eine andere. In der Regel dauert es ja ein Weilchen, ehe sie auftaut. Man fängt mit einem Film oder einem Konzert an, hat den ganzen Abend vor sich, dann geht man eine Kleinigkeit essen oder trinken, und da hat man sich
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