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Drucke Zu Lebzeiten

Drucke Zu Lebzeiten

Titel: Drucke Zu Lebzeiten
Autoren: Franz Kafka
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Ihnen das Vergnügen nicht stö- ren. Sie hätten mich aber nicht zwingen sollen. Wenn ich ,Nein' sage, so sage ich es nicht ohne Grund. Ich darf eben nicht fahren." „Warum?" fragt er. „Das kann ich Ihnen nicht sagen. Sie müssen doch selbst einsehn, daß es sich für ein Mädchen nicht schickt, Nachts mit Her- ren herumzufahren. Außerdem ist noch etwas dabei. Nehmen Sie nur an, ich wäre schon gebunden …" Wir erraten, jeder für uns, mit stillem Respekt, daß diese Sache irgendwie mit dem Wagner-Herren zusammen- hängt. Nun, ich habe mir keine Vorwürfe zu machen, versuche sie aber trotzdem aufzuheitern. Auch Samuel, der sie bisher ein wenig von oben herab behandelt hat, scheint zu bereuen und will nur mehr von der Fahrt sprechen. Der Chauffeur, von uns aufgefordert, ruft die Namen der unsichtbaren Sehenswürdigkeiten aus. Die Pneumatics rauschen auf dem nassen Asphalt wie der Apparat im Kinematographen. Wieder diese „weiße Sklavin". Diese leeren langen gewaschenen schwarzen Gassen. Das Deutlichste sind die unverhängten großen Fenster des Restaurants „Vier Jahreszeiten", dessen Name uns als des elegantesten irgendwie bekannt war. Verbeugung eines livrierten Kellners vor einer Tischge- sellschaft. Bei einem Denkmal, das wir in einem glück- lichen Einfall für das berühmte Wagnerdenkmal erklä- ren, zeigt sie Teilnahme. Nur beim Freiheitsmonument mit seinen im Regen klatschenden Fontänen ist längerer Aufenthalt gegönnt. Brücke über die nur geahnte Isar. Schöne herrschaftliche Villen längs des Englischen Gar- tens. Ludwigsstraße, Theatinerkirche, Feldherrnhalle, Pschorrbräu. Ich weiß nicht, wieso das kommt: ich er- kenne nichts wieder, obwohl ich doch schon mehrmals in München war. Sendlinger Tor. Bahnhof, den rechtzei- tig zu erreichen ich (besonders Doras wegen) Sorge hat- te. So sind wir wie eine daraufhin ausgerechnete Feder in genau zwanzig Minuten durch die Stadt geschnurrt, nach dem Taxameter.
       Wir bringen unsere Dora, als wären wir ihre Münch- ner Verwandten, in einem direkten Koupee nach Inns- bruck unter, wo eine schwarzgekleidete Dame, die mehr zu fürchten ist als wir, ihr für die Nacht ihren Schutz anbietet. Da sehe ich erst, daß man uns zweien mit Beru- higung ein Mädchen anvertrauen kann.
       Samuel: Die Sache mit Dora ist gründlich mißlun- gen. Je weiter es gieng, desto schlimmer. Ich hatte die Absicht, die Reise zu unterbrechen und in München zu übernachten. Bis zum Nachtmahl, etwa Station Regens- burg, war ich überzeugt, daß es gehn würde. Ich ver- suchte mich mit Richard durch ein paar Worte auf einem Zettel zu verständigen. Er scheint ihn gar nicht gelesen zu haben, nur darauf bedacht, ihn zu verstecken. Schließlich liegt ja nichts daran, ich hatte gar keine Lust auf das fade Frauenzimmer. Nur Richard machte so ein Wesen aus ihr, mit seinen umständlichen Ansprachen und Gefälligkeiten. Dadurch wurde sie auch in ihrer dummen Ziererei bekräftigt, die schließlich im Automobil ganz unerträglich wurde. Beim Abschied wurde sie folgerecht ein sentimentales deutsches Gretchen, Richard, der ihr natürlich den Koffer trug, benahm sich, wie wenn sie ihn unverdient beglückt hätte, ich hatte nur ein peinliches Gefühl. Um es kurz zu formulieren: Frauen, die allein reisen oder sonst irgendwie als selbständig betrachtet sein wollen, dürfen dann nicht wieder in die übliche, vielleicht heute schon veraltete Koketterie verfallen, in- dem sie bald anziehn, bald abstoßen und in der dadurch erzeugten Verwirrung ihren Vorteil suchen. Denn das durchschaut man und läßt sich bald mit Vergnügen stär- ker abstoßen, als sie wahrscheinlich gewünscht haben. –
       Nach dieser nicht ganz saubern Reisebekanntschaft war es ein besonderes Vergnügen, eine eigens für Hän- de- und Gesichtwaschen eingerichtete Anstalt auf dem Bahnhof zu finden. Man öffnet uns eine „Kabine"; aller- dings könnte man sich schönere Waschgelegenheiten denken, auch haben wir nur gerade noch Zeit, mit unse- ren Kleidern bepackt uns in der Enge zwischen den zwei Waschbecken hin und her zu drehn, trotzdem sind wir einig, daß Kultur in dieser reichsdeutschen Einrichtung liegt. In Prag könnte man lange auf den Bahnhöfen her- umsuchen, ehe man so etwas fände.
       Wir steigen in das Koupee ein, in dem wir zu Richards Herzklopfen unser Gepäck gelassen hatten. Richard macht seine bekannten Schlafvorbereitungen, indem er sein Plaid als Kopfpolster unterlegt und den aufgehäng- ten
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