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Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
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plötzlich die Faust in den Bauch. Max windet sich, es ist, als zerreiße ihn der Schmerz von unten nach oben, von den Lenden bis in die Brust, und er hätte sich zusammengekrümmt, was ihm wegen der Fesseln, die seine Arme, Beine und den Oberkörper am Stuhl fixieren, jedoch nicht möglich ist. Kalter Schweiß bricht ihm aus jeder Pore, und nach wenigen Sekunden spuckt er, bereits zum dritten Mal, seit das hier alles anfing, bittere Galle, die ihm über das Kinn aufs Hemd tropft. Der Mann, der ihn gerade geschlagen hat, dreht sich in Erwartung neuer Anweisungen zu dem mit dem roten Schnurrbart um.
    »Das Buch, Max.«
    Noch immer nach Atem ringend, schüttelt Max den Kopf.
    »Na, so was.« Im Ton des Russen schwingt ein Anflug von Bewunderung mit. »Der Opa spielt den starken Mann. In seinem Alter.«
    Wieder ein Hieb an dieselbe Stelle. Verkrampft bäumtsich Max auf, als ein scharfer Schmerz ihm in die Eingeweide fährt. Und nach einem Moment der Benommenheit kann er sich nicht länger beherrschen und schreit: ein kurzes, bestialisches Aufheulen, das ihm für einen Augenblick Erleichterung verschafft. Diesmal endet sein Würgen nicht in Erbrechen. Sein Kopf hängt kraftlos auf seiner Brust, sein Atem geht abgehackt und pfeifend. Er zittert vor Kälte und Entkräftung.
    »Das Buch ... Wo ist es?«
    Er hebt ein wenig den Kopf. Sein Herz schlägt unregelmäßig, manchmal mit langen Pausen, dann wieder schnell und hart. Er ist überzeugt, dass er in den nächsten Minuten sterben wird, und er staunt über seine Gleichgültigkeit. Seine stumpfe Resignation. So hat er es sich nie vorgestellt, denkt er einen lichten Augenblick lang. Von Schlägen betäubt hinüberzudämmern, sich hilflos einer Strömung zu überlassen, die ihn in die Nacht reißt. Doch so wird es kommen. Seine Schmerzen und seine Erschöpfung sind so übermächtig, dass es ihm eher wie eine Erlösung erscheint. Endlich Ruhe. Der letzte, der ewige Schlaf.
    »Wo ist das Buch, Max?«
    Der nächste Schlag, diesmal gegen die Brust, gefolgt von einem explosionsartigen Schmerz, der ihm die Wirbelsäule zu zerquetschen droht. Wieder Brechreiz, doch es ist nichts mehr in ihm, das er ausspeien könnte. Weil er das Wasser nicht halten kann, durchnässt er seine Hose, was ein so heftiges Brennen verursacht, dass ihm ein sieches Stöhnen entfährt. Furchtbare Kopfschmerzen pressen seine Schläfen zusammen, und seine wirren Gedanken ergeben nur noch sinnlose Bilder. Seine getrübten Augen nehmen weiße Wüsten wahr, blendende Lichtblitze, enorme wogende Flächen wie aus zähem Quecksilber. Die Leere, vermutlich. Das Nichts. Dieses Nichts wird gelegentlich unterbrochen von flüchtigen Bruchstücken der Erinnerung an Mecha Inzunza, Fetzen der Vergangenheit, eigentümlichen Geräuschen. Der am häufigsten sich wiederholende Laut ist der von drei Elfenbeinkugeln, die auf einem Billardtisch aufeinandertreffen: ein leiser, monotoner, fast angenehmer Ton, der auf Max eine seltsam beruhigende Wirkung hat. Und ihm die nötige Kraft verleiht, das Kinn zu heben und in die stahlgrauen Augen des Mannes zu blicken, der vor ihm sitzt.
    »Ich habe es versteckt ... in der Fotze ... deiner Mutter.«
    Nach dem letzten Wort versucht er, sein Gegenüber anzuspucken. Ein kläglicher blutiger Klecks, der sein Ziel nicht erreicht und zwischen seinen eigenen Knien zu Boden fällt. Der mit dem roten Schnurrbart betrachtet ihn angewidert und scheint nachzudenken.
    »Eins muss man dir lassen, Opa. Du hast Mumm.«
    Dann gibt er den anderen ein Zeichen, und die wickeln Max wieder das nasse Handtuch um den Kopf.
    Der Train Bleu brauste durch die Nacht gen Norden. Nachdem er den letzten Schluck eines achtundvierzig Jahre alten Armagnac ausgetrunken und sich mit der Serviette den Mund abgetupft hatte, legte Max ein Trinkgeld hin und verließ den Speisewagen. Die Frau, die mit ihm am selben Tisch gesessen hatte, war gerade aufgestanden und in die Richtung des Waggons Nummer zwei davongegangen, in dem sich auch Max’ Abteil befand. Sie war ihm bereits am Bahnsteig aufgefallen, wo sie kurz vor Abfahrt des Zuges einen Mann umarmt hatte, und nun waren sie sich hier zufällig begegnet, weil sie beide unter den Ersten gewesen waren, die zum Abendessen erschienen. Sie war Französin, etwa vierzig Jahre alt, trug mit souveräner Eleganz ein Kostüm, das Max’ geübtes Auge als ein Maggy-Rouff-Modell zu identifizieren glaubte, und seinem professionellen Scharfblick entging auch der Ehering nicht, den sie
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