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Drei Kameraden

Drei Kameraden

Titel: Drei Kameraden
Autoren: Erich Maria Remarque
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Pflichttreue werden nur in Romanen belohnt. Im Leben werden sie ausgenutzt und dann beiseite geschoben. Hasse hob die Hände. »Denken Sie, schon wieder zwei Kündigungen im Geschäft. Der nächste bin ich, passen Sie auf, ich!« In dieser Angst lebte er von einem Ersten zum andern. Ich schenkte ihm einen Schnaps ein. Er zitterte am ganzen Körper. Eines Tages würde er zusammenklappen, das sah man. Er hatte nicht mehr viel zuzusetzen. »Und immer diese Vorwürfe«, flüsterte er.
     Wahrscheinlich hatte die Frau ihm ihr Dasein vorgeworfen. Sie war zweiundvierzig, etwas schwammig und verblüht, aber natürlich noch nicht so verbraucht wie der Mann. Sie litt an Torschlußpanik.
     Es hatte keinen Zweck, sich da einzumischen. »Hören Sie, Hasse«, sagte ich, »bleiben Sie ruhig hier sitzen, solange Sie wollen. Ich muß weg. Kognak steht im Kleiderschrank, wenn Sie den lieber mögen. Das hier ist Rum. Da liegen Zeitungen. Und dann gehen Sie heute nachmittag mit Ihrer Frau doch mal 'raus aus dem Bau hier. Vielleicht ins Kino. Das kostet ebensoviel wie zwei Stunden im Café, und Sie haben mehr davon! Vergessen ist heute die Parole, nicht grübeln!« Ich klopfte ihm mit etwas schlechtem Gewissen auf die Schulter. Obschon, Kino war immer gut. Da konnte sich jeder was träumen.

    Nebenan stand die Tür offen. Die Frau schluchzte, daß
    man es draußen hören konnte. Ich wanderte den Korridor hinunter. Die nächste Tür war angelehnt. Dort hatte man gehorcht. Eine Wolke Parfüm kam heraus. Da wohnte Erna Bönig, Privatsekretärin. Viel zu elegant für ihr Gehalt; aber einmal in der Woche diktierte ihr Chef ihr bis zum Morgen. Dann war sie am nächsten Tag sehr schlechter Laune. Dafür ging sie jeden Abend tanzen. Wenn sie nicht mehr tanzen könne, wolle sie nicht mehr leben, erklärte sie. Sie hatte zwei Freunde. Einer liebte sie und brachte ihr Blumen. Den anderen liebte sie und gab ihm Geld.
     Neben ihr Rittmeister Graf Orlow, russischer Emigrant. Eintänzer, Kellner, Filmkomparse, Gigolo mit grauen Schläfen, wunderbarer Gitarrespieler. Betete jeden Abend zur Mutter Gottes von Kasan um eine Stellung als Empfangschef in einem mittleren Hotel. Weinte leicht, wenn er betrunken wurde. Nächste Tür. Frau Bender, Krankenschwester in einem Säuglingsheim. Fünfzig Jahre alt. Mann im Kriege gefallen. Zwei Kinder 1918 an Unterernährung gestorben. Hatte eine bunte Katze. Das einzige.
     Daneben – Müller, pensionierter Rechnungsrat. Schriftführer eines Philatelistenvereins. Lebendige Briefmarkensammlung, sonst nichts. Glücklicher Mensch.
     An der letzten Tür klopfte ich. »Na, Georg«, sagte ich, »immer noch nichts?«
     Georg Block schüttelte den Kopf. Er war Student im vierten Semester. Um die vier Semester machen zu können, hatte er zwei Jahre im Bergwerk gearbeitet. Das ersparte Geld war jetzt fast verbraucht; er hatte nur noch für zwei Monate zu leben. Ins Bergwerk konnte er nicht wieder zurück – da waren heute schon zuviel Bergleute ohne Arbeit. Er hatte auf jede Weise versucht, eine Stelle nebenbei zu bekommen. Eine Woche lang war er Zettelausteiler für eine Margarinefabrik gewesen; aber die Fabrik war pleite gegangen. Kurz darauf bekam er einen Posten als Zeitungsausträger und atmete schon auf. Drei Tage später wurde er im Morgengrauen von zwei Leuten mit Schirmmützen angehalten, die ihm die Zeitungen abnahmen, zerrissen und ihm erklärten, er solle sich nicht zum zweiten Male sehen lassen in einem Beruf, der ihn nichts anginge. Sie hätten selbst genug Arbeitslose. Er ging trotzdem am nächsten Morgen, obschon er die zerrissenen Zeitungen hatte bezahlen müssen. Jemand fuhr ihn mit einem Fahrrad nieder. Die Zeitungen flogen in den Dreck. Das kostete ihn zwei Mark. Er ging zum drittenmal und kam mit zerfetztem Anzug und zerschlagenem Gesicht wieder. Da gab er es auf. Jetzt saß er jeden Tag in seinem Zimmer, verzweifelt, und büffelte wie verrückt, als hätte es noch Zweck. Er aß einmal am Tage. Dabei war es egal, ob er die Restsemester noch machte oder nicht – auf eine Stelle konnte er auch nach dem Examen in frühestens zehn Jahren rechnen. Ich schob ihm ein Paket Zigaretten hin. »Laß den Kram sausen, Georgie. Ich hab's auch getan. Kannst später immer wieder anfangen.«
     Er schüttelte den Kopf. »Ich hab's damals gemerkt, nach
    dem Bergwerk. Man kommt völlig 'raus, wenn man nicht jeden Tag dabeibleibt, und zum zweitenmal schaff' ich es nicht.«
     Das blasse Gesicht mit abstehenden Ohren und
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