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Draußen wartet die Welt

Draußen wartet die Welt

Titel: Draußen wartet die Welt
Autoren: Nancy Grossman
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drinnen bat. Wir setzten uns an den Küchentisch, an dem wir schon so viele Unterhaltungen geführt hatten. Janies Cornflakes-Packung und Bens Sportteil lagen auf dem Tisch.
    »Es tut mir so leid, Eliza. Ich arbeite schon seit Jahren an dieser Abschlussarbeit. Es geht um das Erwachsenwerden in amischen Gemeinden. Deshalb war ich auch bei euch in der Stadt. Ich habe Feldforschung betrieben und mündliche Überlieferungen und Berichte gesammelt. Was du gelesen hast, stammt aus diesen Recherchen. Dabei ging es nicht um dich.«
    Sie erhob sich, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und trank einen Schluck, bevor sie sich wieder setzte. Ich hörte ihr schweigend zu. »Es war ein riesiges Dilemma für mich«, sagte sie. »Dich hier zu haben und gleichzeitig mit meiner Arbeit fortzufahren.«
    »Es wäre kein Dilemma gewesen, wenn du es mir erzählt hättest.«
    »Das weiß ich jetzt«, erwiderte sie. »Und ich würde alles anders machen, wenn ich könnte.« Ihre Fingerspitzen ruhten auf dem Rand ihrer Kaffeetasse, eine Geste, die mir inzwischen sehr vertraut war.
    »Aber als ich erst einmal den Fehler gemacht hatte, dir nichts davon zu erzählen, wusste ich nicht, wie ich ihn wieder korrigieren sollte.« Sie stellte die Tasse auf dem Tisch ab. »Aber ich möchte ihn jetzt korrigieren.«
    Ich schüttelte den Kopf und senkte den Blick. »Jetzt ist alles anders«, sagte ich. »Wenn ich an eine unserer Unterhaltungen zurückdenke, frage ich mich jedes Mal, welche neuen Erkenntnisse du wohl für deine Arbeit daraus ziehen wolltest.«
    Rachel schloss die Augen und drückte mit den Fingerspitzen dagegen. »Ich habe alles kaputt gemacht«, sagte sie. Dann nahm sie die Hände wieder von den Augen und schaute mich direkt an. »Ich verstehe, wenn du früher abreisen willst. Aber kannst du den Kindern ein bisschen Zeit geben, sich an den Gedanken zu gewöhnen?«
    Ich nickte und stand vom Tisch auf. Rachel blieb sitzen und starrte in ihre Kaffeetasse. »Hast du die Liste mit meinen Aufgaben fertig?«, fragte ich. Sie schüttelte den Kopf.
    Ich ging nach oben und fand mein Zimmer genauso vor, wie ich es verlassen hatte. Die Schubladen und die Schranktür standen offen und meine Kleider von gestern lagen auf dem Fußboden. Ich zog mir englische Kleidung an, packte meine Reisetasche aus und räumte mein Zimmer auf. Der Tag zog seltsam still an mir vorbei und ich beschäftigte mich mit Wäschewaschen und anderen Hausarbeiten. Als ich am Nachmittag ins Wohnzimmer kam, um abzustauben, saß Rachel dort und las Zeitung. Sie hob ihren Blick, als sie mich sah. Ich fühlte mich in ihrer Nähe ein wenig unwohl. Aber es gab noch etwas, was ich verstehen wollte. Ich setzte mich hin und legte das Staubtuch beiseite.
    »Warum schreibst du über die Amisch?«
    Sie legte ihre Zeitung weg. »Ich habe mich schon immer für die Amisch interessiert und dafür, wie sie an ihrer Lebensweise festhalten konnten, obwohl sich alles um sie herum verändert hat«, antwortete sie. »Und ich fand es interessant, eine Kultur zu studieren, die so anders ist als meine.« Sie schaute mich wissend an. »Ich denke, das kannst du bestimmt nachvollziehen.«
    Ich senkte den Blick. Es stimmte, dass sich meine Neugier für die Englischen gar nicht so sehr von Rachels Interesse an uns unterschied. Wir beide verspürten ein gewisses Verlangen nach einem Leben, das wir nicht hatten.
    »Der Unterschied zwischen uns ist«, fuhr Rachel fort, »dass du hierherkommen und nach einer kurzen Eingewöhnungsphase dazugehören kannst. Wenn ich bei euch im Bezirk wohnen würde, wäre ich vollkommen aufgeschmissen. Ich glaube nicht, dass ich das auch nur eine Woche aushalten würde.«
    Ich versuchte, mir Rachel ohne Handy, Computer oder ein Auto vorzustellen oder wie sie Wäsche auf eine Leine hängte und das Geschirr im Schein einer Laterne abspülte. Sie mochte vielleicht neugierig auf meine Welt sein, aber sie gehörte voll und ganz in ihre. »Eine Woche könnte für dich wirklich lang werden«, erwiderte ich. Ich sah, wie erleichtert Rachel darüber wirkte, dass wir gemeinsam über einen Scherz lächeln konnten.
    »Ich weiß, dass du gute Absichten hattest«, fuhr ich fort. »Und ich möchte auch nicht wütend auf dich sein.«
    »Ich danke dir, Eliza«, sagte sie, und ihre Stimme zitterte vor Emotionen. »Weißt du, du bist inzwischen wirklich zu einem sehr wichtigen Menschen für mich geworden – für uns alle. Und ich war am Boden zerstört, weil ich dich so verletzt habe.«
    Dann fiel mir
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