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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter
Autoren: Alison Goodman
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durch seine wirbelnden Energiepunkte. Sein Einfluss auf uns ließ nach und der Blaue Drache bäumte sich verwirrt auf. Wir beobachteten, wie die Angst durch Idos durchsichtigen Körper strömte und sich in dem hellroten Energiepunkt am Steißbein sammel te. Weiter oben am Rückgrat, das alle sieben Energiepunkte verband, leuchtete sein Kreuzbein, der Sitz seines Charismas, orange, während sein Delta, der Sitz seines Begehrens, gelb strahlte.
    Dann sahen wir den fahlgrünen Tupfer in seiner Brust – den Herzpunkt, den Sitz von Mitgefühl und Einheitsempfinden. Er war grau und verschrumpelt und dort war Idos Energiefluss nur ein dünnes, stockendes Rinnsal. Eine Krankheit, die leicht zu heilen war. Wir leiteten unsere Kraft auf den Herzpunkt und sahen zu, wie das Grau aus dem Grün schwand und sich langsam zu einer gewaltigen Woge düsterer Emotionen aufbaute, die als enttäuschtes Begehren, verletzte Unschuld und schroffe Zurückweisung über uns zusammenschlug. Wie viel Wut und Hoffnungslosigkeit! Der Blaue Drache heulte. Unsere Hand berührte Idos Brust und die Verbindung seines Hua mit unserem zitterte zwischen uns. Goldene und silberne Kraft verschmolzen und setzten ein solches Mitgefühl frei, dass Idos verkümmerter grüner Herzpunkt sich weit öffnete und all seinen bleiernen Schmerz ausstieß.
    Ido schrie auf und stolperte zurück. Dabei riss er meine Hand von der Perle und zerstörte dadurch die Verbindung mit meinem Drachen, was mich aus der Energiewelt wirbelte und zurück in die Gasse versetzte.
    Der Drache war verschwunden.
    Es war, als würde mir der Geist entrissen. Ich sackte gegen die Mauer zurück, tastete nach unserer Vereinigung und begegnete tatsächlich einem warmen, goldenen Nachbild ihrer Gegenwart, das den Schock unserer Trennung abfederte.
    Ido fiel auf die Knie und sein Energieleib verwandelte sich wieder in seinen fleischlichen Körper. Heftige Fröstelanfälle durchliefen seine gebeugte Gestalt. Er hob den Kopf und sei ne Augen waren vor Entsetzen trüb.
    »Was hast du mir angetan?«, keuchte er. »Solche Macht habe ich nie zuvor gesehen.«
    Zitternd schlang ich mir meine zerfetzten Gewänder um den nackten Leib. Ich wusste nicht recht, was ich getan hatte. Was wir getan hatten.
    »Dein Herzpunkt ist jetzt offen«, sagte ich.
    Er atmete tief und schluchzend ein. »Du hast mich alles empfinden lassen«, sagte er. »Ganz plötzlich – alles, was ich je getan habe.« Er neigte sich mit vor der Brust verschränkten Armen vor und krümmte sich vor innerer Qual.
    Ich sah auf, als ich ein Geräusch hörte. Etwas bewegte sich. Ich brauchte einen Moment lang, um zu begreifen, was es mit dem verstaubten Haufen auf sich hatte, der sich durch die verwüstete Gasse schob: Es war Ryko, der zu uns gekrochen kam und sich dabei die verstümmelte Hand an die Brust drückte. Keuchend schleppte er sich an der bäuchlings daliegenden Leiche eines Soldaten vorbei und ließ Ido nicht aus den Augen.
    »Tötet ihn«, sagte er. »Solange Ihr die Gelegenheit dazu habt.«
    Lady Dela erschien hinter einem Haufen umgestürzter Ballen und rappelte sich auf. Sie hielt eins meiner Schwerter in der zitternden Hand. Ihr Gesicht war blutverschmiert und voller Schmutz. Schon die Waffe nur zu heben, brachte sie zum Schwanken. »Ich werde es tun.«
    »Nein!« Die Worte kamen tief aus meinem Inneren, wo ein Wandel eingetreten war. »Das dürfen wir nicht.«
    »Warum nicht?«, wollte Ryko wissen.
    Ich biss mir auf die Unterlippe, da ich wusste, dass meine Gründe nichtig wären für einen Mann, der eben gefoltert worden war. Ich begriff es ja selbst kaum. Zwar spürte ich noch immer die Berührung durch Idos Hände und wollte ihn leiden und sterben sehen, doch vor allem wollte ich seine Qual beenden. Indem ich Ido Mitgefühl geschenkt hatte, hatte ich ihm irgendwie auch mein Herz geöffnet.
    Das Drachenauge hockte sich mühsam auf. Die überhebli che Kopfhaltung war verschwunden. »Weil ihr Dillon tötet, wenn ihr mich tötet«, sagte er ruhig.
    Ryko sah mich an. »Stimmt das?«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte ich. »Vielleicht. Er hat Dillons Hua an seines gebunden –« Eine plötzliche Angst ließ mich verstummen. Hatte ich Idos Hua irgendwie an meines gebunden?
    Das Geräusch von knirschenden Kieseln ließ mich an Ryko vorbei in die Gasse schauen. Der ältere Soldat stolperte auf den Platz hinaus und sein humpelnder Trab vermittelte eine klare Botschaft.
    »Er holt Hilfe.« Ich löste mich von der Mauer. »Wir müssen
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