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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter
Autoren: Alison Goodman
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Unterhosen. Ich zuckte zusammen, doch die andere Hand legte sich wieder fester um meine Kehle. Die Gassenwände schienen plötzlich ganz nah zu rücken, alles verschwamm grau in grau und ich glaubte zu ersticken. Erneut lockerte er seinen Griff und ließ mich Luft holen. Seine Miene hatte sich zu eisiger Zielstrebigkeit verhärtet, und mir war klar, dass ich körperlich zu schwach war, um ihn aufzuhalten. Aber er würde nicht alles von mir bekommen.
    Ich hob das Kinn. »Ihr könnt mich nicht dazu zwingen, in die Energiewelt einzutauchen.«
    »Glaubt Ihr, ich kann mich nur Eures Körpers bemächtigen?« Seine Augen waren inzwischen ganz silbrig. Ich spürte seine Energie, als hätte er mir einen Faustschlag versetzt. »Jedes Mal, wenn Ihr meinen Drachen beschworen habt, habt Ihr ihm Eure Kraftlinien geöffnet«, flüsterte er mir ins Ohr. »Und mir auch.«
    Der süße Geschmack von Vanille und Orange erfüllte meinen Mund. Macht brach auf mich ein, suchte nach etwas in mir – blaue Macht, die die Gasse zu einem Farbwirbel verzerrte und Idos Gesicht für einen Moment in Flächen pulsierender Energie verwandelte. Er sah auf und seine Finger bo gen meinen Kopf zurück. Der Rattendrache war über uns und die graublauen Schuppen seines Unterleibs waren wie der Sommerhimmel. Das Tier beobachtete uns und die Perle an seiner Kehle schimmerte vor Kraft. Seine riesigen Augen drangen noch tiefer in mich ein und entdeckten einen silbrigen Pfad, der noch immer vom Grau des Sonnenpulvers getrübt war.
    Ido war in meinem Kopf. Jetzt bist du wirklich mein.
    »Nein«, keuchte ich.
    Eine schrille Stimme übertönte den blauen Sturm, der durch meine Sinne tobte. »Sie ist der Spiegel drache. Hört Ihr mich? Ihr Name ist Euer Name! Sie ist der Spiegel!«
    Lady Dela. Ich gab mir alle Mühe, mich auf ihre Worte zu konzentrieren.
    Dann fügten sich die Ereignisse der vergangenen Wochen wie bei einem umgedrehten Kaleidoskop zu einer neuen und bitteren Erkenntnis zusammen. Der Spiegeldrache hatte im Moment unserer Vereinigung nicht versucht, mir meinen wahren Namen zu entreißen, sondern sie hatte versucht, mir ihren Namen mitzuteilen. Unseren Namen. Die ganze Zeit über – ob im Haus meines Meisters, im Bad oder am Straßenrand – hatte ich sie verleugnet, abgewehrt oder mit Drogen erstickt. Und die ganze Zeit über war der winzige goldene Kern meiner Macht in mir verschlossen gewesen und hatte auf seine Befreiung gewartet.
    »Eona«, flüsterte ich – und die Wahrheit dieses Namens war wie eine Kralle des Lichts, die das Gespinst der Missverständnisse herunterriss und dabei die Angst und den schwindenden Schleier der Drogen zerfetzte. Sie durchbrach das übermächtige Blau und ließ einen dünnen Silberstreifen der Hoffnung hervorblitzen.
    Ido bohrte mir die Finger ins Fleisch. Was machst du da?
    »Eona«, schrie ich, und dieser Name erschütterte Idos Macht über mich. Ich spürte, dass er begriff – und dass ihm klar war, was nun kommen würde.
    Du hast sie gerufen.
    Eine mächtige Welle der Kraft strömte in mich ein und drückte mich gegen die Wand. Ido warf sich gegen mich. Er würde mich nicht loslassen. Nicht jetzt. Der Rattendrache heulte, denn seine mächtige blaue Kraft wurde von einem Ansturm geschmeidigen Goldes zurückgedrängt.
    Pures Leben überflutete meine sieben Energiepunkte, öffnete sie, stärkte sie, suchte nach mehr. Und hinter all dem gab es ein Wesen, das sich begeistert verströmte und vereinigte. Ich blickte auf. Endlich sah mein inneres Auge klar, und ich erkannte den Spiegeldrachen – meinen Drachen.
    Sie stand aufgebäumt auf dem Dach hinter mir und ver deckte den kleineren blauen Drachen. Die pulsierende golde ne Perle an ihrer Kehle hob sich hell von den violetten Schuppen ihrer Brust ab. Nun ließ sie sich mit den Vorderläufen auf dem Dach nieder und zwei rubinrote Klauen umklammerten die Traufe. Steinchen rieselten aufs Pflaster und wirbelten an beiden Enden der Gasse Staubwolken auf. Des Gleichgewichts wegen breitete sie ihre zerbrechlichen Flügel aus, als sie den Kopf einzog, und das Mondlicht ließ die Schuppen ihres gekrümmten Halses aufblitzen. Ihr warmer Atem glich einem sommerlichen Lufthauch und erfüllte meinen Mund mit Zimtaroma – dem Geschmack der Macht. Und der Freude.
    Ich sehe sie. Ich spürte Idos Ehrfurcht zu wildem Begehren werden.
    Anmutig senkte sie das riesige Maul und bot mir die Perle unter ihrem Kinn dar. Die strahlende Goldkugel war fassgroß und schien unter einem
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