Drachenschwester 02 - Eltanins Verrat
kroch die Ranke unter die metallene Spinne. Doch wieder nichts. So fest sie auch daran zog und zerrte, sie ließ sich nicht bewegen. Aber die Tentakel schienen die Gefahr, die ihnen drohte, zu spüren, denn mit einem Mal ließen sie eine Sekunde von Fabio ab und wickelten sich blitzartig auch um Sofia. Die Körper der beiden Jugendlichen berührten sich und ihre Gesichter waren nur noch wenige Millimeter voneinander entfernt. Fabios Augen hefteten sich auf sie, und sein Blick ging Sofia durch und durch.
»Warum tust du das für mich?«, murmelte er. »Ich bin doch ein Verräter.«
»Weil du zu uns gehörst«, antwortete sie mit erstickter Stimme. Auch ihr begannen die todbringenden Tentakel schon die Luft abzuschnüren. ›Und weil du mir gefällst‹, dachte sie, konnte es aber nicht sagen. Endlich hatte sich ihre Ranke unter die Metallspinne gebohrt. Sofia schloss die Augen und konzentrierte sich. Schon erstrahlte ihr Auge des Geistes in vollem Glanz, und das von Fabio ebenfalls, wie zwei Saiten einer Geige, die im Gleichklang schwingen. Sofia empfand seinen Schmerz, während sie mit seiner Seele in Berührung kam, spürte seine Einsamkeit und seine Not. Mit einem Mal waren die beiden in einem gemeinsamen Wissen vereint, während der Geist des einen mit dem des anderen verschmolz. Und in ihrer ganzen Pracht erstand vor ihren Augen die zusammen erlebte Vergangenheit, all ihre verschütteten Erinnerungen kamen zum Vorschein, und Fabio erkannte, wer er war und was seine Bestimmung sein sollte.
Er sah Eltanin nur von Blutdurst und Ruhmsucht erfüllt an der Seite der Lindwürmer gegen die Drachen kämpfen. Er sah seinen Verrat und wie Nidhoggr den Weltenbaum zerstörte. Aber er sah auch Idhunn, die zahllosen Stunden, die sie zusammen verbracht hatten, spürte, dass seine Zuneigung zu ihr nie erloschen war. Und er sah auch, wie sie ihn aufgesucht hatte, in Nidhoggrs Unterschlupf, um mit ihm zu reden und ihn dazu zu bringen, wieder zu ihnen zurückzukehren.
»Du glaubst, es ist zu spät. Aber das ist es nicht. Kehre um und kämpfe wieder an der Seite der Drachen, deiner Artgenossen. Alles, was du getan hast, wird dir verziehen werden, denn du bist und bleibst einer von uns.«
Diese Worte trafen ihn ins Herz und brachten ihn wieder zur Vernunft. Am Ende hatte er seinen Verrat bereut und sich wieder seinen Gefährten angeschlossen.
Er sah Eltanin, wie er die einzige Frucht des Weltenbaums, die nicht verloren gegangen war, an sich nahm, sah, wie er sich selbst in die Brust schnitt und sein Blut über die Frucht strömen ließ.
»Niemand außer dir und mir wird diese Frucht berühren können, dies schwöre ich bei meinem Blut«, hörte er Eltanin sagen. Und Nidhoggr hatte ihn gerade dazu gezwungen, genau dieses Siegel zu brechen. Nur aus diesem Grund also hatte der Lindwurm ihn an seiner Seite haben wollen: Weil er allein die Frucht berühren und den Zauber brechen konnte.
Schließlich sah er, wie Eltanin sich verzweifelt Hunderter von Lindwürmern erwehren musste und im Kampf unterlag.
Fabios Herz machte einen Sprung: Er hatte bereut, zum Schluss hatte er seinen Verrat bereut und versucht, ihn wiedergutzumachen.
Da erzitterten die eisernen Bänder und ihr Druck ließ nach. Rost zog sich die Spiralen entlang, zerfraß sie nach und nach bis zur Spitze und ließ das Metall zerbröseln. Bald waren Fabio und Sofia befreit. Überzogen von einem feinen rötlichen Pulver sanken sie zu Boden. Erschöpft lagen sie eine Weile da, während auf der Lichtung nur ihre keuchenden Atemzüge zu hören waren. Sofias Hand lag auf seiner Brust. Sie spürte sein Herz heftig schlagen. ›Ich habe ihn gerettet‹, dachte sie voll wahnsinniger Freude. ›Diesmal habe ich ihn gerettet.‹
»Danke«, murmelte Fabio, raunte es mehr, so als schäme er sich dafür.
Plötzlich sprang er auf. In seinen Augen leuchtete ein blinder, verzehrender Zorn.
»Dieses Mistvieh, dieses verfluchte Mistvieh hat mich nur benutzt«, zischte er. Seine Flügel explodierten buchstäblich aus den Schultern. »Das wird er mir büßen!«, setzte er wütend hinzu und hob ab.
Mühsam richtete sich Sofia auf und entfaltete ihre Flügel. Sie war erschöpft, aber es gab noch so viel zu tun. Mit einem Sprung schwang sie sich in die Luft und schloss sich der Verfolgung an, der Frucht hinterher.
20
Fabios Entscheidung
Die Alte blieb allein auf der Lichtung zurück. Sie trat auf den Nussbaum zu und sah dort Matilde verzweifelt weinen, spürte ihre Furcht, ihre
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