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Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Horst-Jürgen Gerigk
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mit dem Schwachen Herzen , der sich aus der Welt der Zwänge in den Wahnsinn zurückzieht. Sein Freund Arkadij erlebt die innere Folgerichtigkeit solcher Weltverneinung, als ihm an einem Winterabend der phantastische Charakter der Petersburger Wirklichkeit aufgeht: Diese ganze Welt mit all ihren Bewohnern, mit den Hütten der Armen und den Palästen der Reichen gleicht in der Dämmerstunde einem verrückten Traumgebilde, das sich plötzlich wie eine Rauchwolke am dunkelblauen Himmel aufzulösen scheint.
    Die vier Jahre im sibirischen Zuchthaus unterbrechen Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller. Er darf nichts schreiben und auch (außer dem Neuen Testament) nichts lesen. Was hier aber in Wahrheit stattfindet, ist keine Unterbrechung im Sinne einer Abschaltung seiner Empfänglichkeit, sondern eine schöpferische Pause, in der sich eine Erfahrung formuliert, mit der Dostojewskij völlig neu ausgerichtet und neu »sozialisiert« wird. Er verlässt das »Tote Haus« als Kriminologe und missionarischer Christ, was er beides vorher nicht gewesen ist und nun bis an sein Lebensende bleiben wird. Die Wandlung, die stattfindet, betrifft seine literarische Thematik bis ins letzte Detail, nicht aber die handwerkliche Entwicklung seiner Erzählkunst. Deren Entwicklung hat ihre eigene Dynamik.
    Das letzte Werk, das er vor seiner Verhaftung plante und zum Teil veröffentlichte, war der Roman Netotschka Neswanowa . Er blieb Fragment und sollte all die anderen »kleinen« Werke an Umfang übertreffen: als ausgewachsener Roman. Auch nach seiner Entlassung aus dem Zuchthaus hat aber Dostojewskij diesen Roman nicht fortgeführt. Das Erste aber, was er nach der Entlassung in Angriff nahm, ist ein großer humoristischer Roman, aus dem jedoch nur eine Episode unter dem Titel Onkelchens Traum . Aus den Chroniken der Stadt Mordassow (1859) veröffentlicht wurde. Der Ortsname hat einen sprichwörtlichen Hintergrund und könnte mit »Krähwinkel« übersetzt werden. Hier der Inhalt.
    Schauplatz ist ein Ort in der russischen Provinz. Im Zentrum der Handlung steht des Ich-Erzählers gebrechlicher Onkel, der greise Fürst K., ein reicher Lebemann, der der jungen und reizvollen Sina Moskaljewa Herz und Hand anbietet. Sein erboster Neffe, der in Sina verliebt ist, bringt ihn jedoch zu der Überzeugung, sein Eheversprechen und die Zusage der Braut nur geträumt zu haben. Sina wollte durch eine Verbindung mit dem ungeliebten Fürsten ihrem schwindsüchtigen Geliebten, einem Schullehrer, den rettenden Kuraufenthalt ermöglichen. Das Werk enthält brillant ausgestaltete Szenen; die vorherrschenden, possenhaften Elemente bilden jedoch mit seinem tragischen Grundton keine zwingende Einheit.
    Des Weiteren verfasste Dostojewskij den Roman Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner (1859). Darin übt er sich in mehrsträngiger Handlung: Der Roman schildert aus der Sicht eines interessierten Besuchers das seltsame Treiben auf einem russischen Gutshof. Kernstück der Handlung ist die Auseinandersetzung zwischen dem Gutsherrn Jegor Rostanjew, einem selbstlosen und gütigen Manne, und Foma Opiskin, einem durchtriebenen Schurken, der für sich die Rolle eines Gelehrten und Sittenrichters in Anspruch nimmt und seiner ratlosen Umwelt absoluten Gehorsam abverlangt. In einer großen Skandalszene jagt Rostanjew den aufsässigen Opiskin aus dem Hause, ruft ihn jedoch wegen eines plötzlich hereinbrechenden Unwetters zurück und bittet ihn schließlich sogar um Verzeihung. Das Werk weist burleske Züge auf und gestaltet die geheimnisvolle Macht unverfrorener Scharlatanerie. Poetologisch bedeutsam ist die typologische Abgrenzung der beiden Hauptgestalten durch mehrere Nebenhandlungen und eine Vielzahl von Randfiguren.
    Weitaus ehrgeiziger aber ist das sofort anschließende Projekt Die Erniedrigten und die Beleidigten , ein großangelegter Roman mit Petersburg als Schauplatz und der Großstadtmisere als Thema. Gleichzeitig entstanden die Aufzeichnungen aus einem toten Haus . Systematisch angestrebt wurde die Rückkehr in den russischen Literaturbetrieb. Vorweg sei angemerkt, dass Dostojewskij die Zeitschriftenfassung der Erniedrigten und Beleidigten noch im gleichen Jahr, 1861, intensiv überarbeitet und eine um melodramatische Szenen gekürzte Buchausgabe folgen ließ. Nur die Zeitschriftenfassung hatte den Untertitel: Aus den Aufzeichnungen eines erfolglosen Schriftstellers . Dostojewskij war allerdings mit diesem seinem ersten großen Roman nicht zufrieden und
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