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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha
Autoren: Robert Menasse
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die zwei Stunden später Nachschau halten kam. Wie konntest du dieses feuchte Loch mieten? Wie konnte dein Vater das zulassen?
    Nein, sagte ich trotzig, man muss nur einmal ordentlich heizen.
    Mutter brachte Geschirr und Besteck, Bettwäsche, sogar den Schaukelstuhl, um den wir zu Hause immer gekämpft hatten – was heißt »zu Hause«? Der Marxer Keller war nun mein Zuhause! Um den wir jedenfalls immer gekämpft hatten, solange ich noch bei Mutter wohnte.
    Den hast du doch so gern, sagte sie.
    Sie wischte die Küchenschränke aus, räumte das Geschirr ein, überzog das Bett, kaufte im nächsten Supermarkt Grundnahrungsmittel, schwatzte ununterbrochen: Alles wird immer teurer, wie wirst du dir das allein leisten können? Oder: So ein feuchtes Loch! Du wirst noch Rheuma bekommen!
    Vater wollte, dass ich glücklich werde. Aber Mutter musste mir immer alles madig machen.
    Die nächsten Tage verbrachte ich hauptsächlich mit Heizen und Schaukeln.
    Dann lernte ich Helga kennen.
    14.
    Helga war ein altmodisches Mädchen. Das gefiel mir. Es sollte erst später ein Problem werden. Zunächst war es ein Vorteil. Ich musste nicht lässig und erfahren tun, und ich musste nicht unausgesetzt irgendwie witzig sein, nur damit kein peinliches Schweigen aufkam. Sicherheit gab uns, dass wir beide so unsicher waren, und Schweigen ging jederzeit als romantische Gestimmtheit durch. Junge Liebespaare und alte Ehepaare schweigen. Es hatte alles seine Richtigkeit. Wir torkelten vor Liebessehnsucht wie Bambi, lebten in animiertem Pathos wie Susi und Strolch. Ich hatte sie nach einer Vorlesung angesprochen. Sie hatte rote Haare und wie viele Rothaarige eine sehr weiße Haut. Das gefiel mir nicht unbedingt, sie würde nie in die Sonne gehen können. Sie hatte traurige Augen, einen geradezu starren Blick. Das mochte ich auch nicht, ich wollte doch lernen, leichtlebig zu sein. Aber mein Gedanke war: Sie wird mich nicht demütigen.
    Exkurs: Ich hatte damals, nach einem demütigenden Erlebnis, bereits über ein Jahr lang kein Mädchen mehr angesprochen. Es war in meinem letzten Schuljahr, als meine Mutter sich Sorgen zu machen begann, weil ich jeden Abend zu Hause im Schaukelstuhl saß, und nicht, wie andere in meinem Alter, ausgehen wollte. Hast du ein Mädchen?, fragte sie mich. Nein, sagte ich. Wie auch?, sagte sie. Hör zu! Heute abend gehört der Schaukelstuhl mir, ich schau mir im Fernsehen das neue Kabarettprogramm von Farkas an, und du gehst in eine Diskothek. Ein Junge in deinem Alter, der dauernd zu Hause herumsitzt, das ist doch nicht normal.
    Max (ein Schulfreund von mir) darf nie in eine Disko gehen, sagte ich, er hat einen Riesenstreit mit seinen Eltern, weil sie ihn nicht weglassen.
    Er will wenigstens. Und du darfst! Bis Mitternacht. Dann bist du verlässlich wieder zu Hause.
    Sie steckte mir einen Geldschein zu.
    Aber, sagte ich, wohin soll ich gehen? Ich kenne doch keine Disco!
    Alle jungen Leute rennen jetzt in dieses Voom Voom, sagte sie, nahm ein Telefonbuch, suchte die Adresse heraus, erklärte mir, wie ich hinkomme.
    Ja, sagte ich, Max hat vom Voom Voom erzählt.
    Ich dachte, er darf nicht.
    Er geht heimlich. Er sagt zu Hause, dass er bei einem Freund Mathe lernt und gleich dort übernachtet.
    Mich musst du nicht anlügen. Du gehst jetzt ins Voom Voom. Und wehe, du belügst mich!
    Auf dem Weg in die Disco dachte ich, dass Mutter wahrscheinlich recht hatte. Ich sollte wirklich endlich lernen – was? Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht. Ich dachte das tatsächlich so bürokratisch. Man könnte auch sagen: professionell. Als müsste ich, wie Vater, einen Artikel schreiben über das am meisten angesagte Tanzlokal der Stadt. Und dabei ein bisschen erotischen oder sexuellen Genuss mitnehmen.
    Ich fand mich im Voom Voom nicht zurecht. Eine dunkle, fremde Welt mit Lichtblitzen. Die Zähne der Lachenden schienen blau. Aber die wenigsten lachten. Es herrschte eine Atmosphäre wie in einem Bergwerk. Hier musste eine sehr anstrengende Arbeit geleistet werden. Ich dachte immerzu nur: Was mache ich hier? Dann fiel es mir wieder ein. Das andere Geschlecht. Da sah ich ein Mädchen, das meine Aufmerksamkeit erregte. Ich fand schön, was als schön galt: schulterlanges Haar mit Mittelscheitel, Minirock. Immer wieder blitzte die große Schnalle ihres Gürtels im Disco-Licht. Sie wirkte gelangweilt. Geradezu verächtlich gegenüber dem Treiben rundum. Sie signalisierte, dass sie tiefer empfand und mehr wusste als all die anderen, die da
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