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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha
Autoren: Robert Menasse
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Mieteinnahmen brachte. Der Hauseigentümer witterte das Geschäft seines Lebens. Er wollte den Grund um einen Millionenbetrag an eine Bank verkaufen. Voraussetzung war eine Abbruchbewilligung fiir das Haus. Dafür benötigte er die amtliche Anerkennung, dass es unbewohnbar geworden sei und eine Sanierung sich nicht lohne. Er ekelte Mieter systematisch durch Schikanen hinaus: unter dem Vorwand einer Dachreparatur deckte er einen Teil des Daches ab, ließ es wochenlang hineinregnen. Der Strom wurde tagelang abgeschaltet, »Probleme mit den alten Leitungen«. Die Mieter wurden immer rechtzeitig verständigt, so war alles rechtens. Eine Partei nach der anderen zog aus. Ich wollte auch eine andere Wohnung suchen, nur meine Lethargie stand mir im Weg. Ich hatte keine Tiefkühltruhe. Die Stromabschaltungen richteten bei mir keinen Schaden an. Ich tat in der Wohnung nichts anderes als schlafen. Nun vermietete der Hauseigentümer die freien Wohnungen illegal an Ausländer. Ein Dreifach-Jackpot: Sie konnten sich nicht beschweren. Sie zahlten unverhältnismäßig viel, ein schöner Extraprofit vor dem ganz großen. Und sie würden dem Haus den Rest geben, es endgültig niederwohnen – das war die Hoffnung des Eigentümers.
    In meiner Nachbarwohnung waren Araber eingezogen, zu acht, um sich die Miete von Zimmer und Küche mit Klo am Gang leisten zu können. Das Zimmer war ein Matratzenlager. In der Küche wurde ständig gekocht. Wenn ich tagsüber zu Hause war, an Wochenenden, luden sie mich zum Essen ein. Sie läuteten an meiner Tür, wenn sie Spezialitäten gekocht hatten, überreichten mir Kostproben. Oder eine kleine Dose Kaffeebohnen, die sie selbst über Feuer im Spülbecken rösteten. Wenn ich in der Nacht anklopfte, weil mir die Zigaretten ausgegangen waren, gaben sie mir ein ganzes Päckchen. Das ist zu viel, sagte ich, nur zwei oder drei, zum Einschlafen. Nimm, Habib, sagte Omar oder Mohammed oder Mustafa, man bekommt nur zurück, was man gibt. Gesegnet sei dein Schlaf.
    Ihr Elend war furchtbar. Ich begriff wenig, aber doch so viel: Essen hatte eine enorme Bedeutung. Ich hatte damals zehn Kilo weniger als heute, aber ich begann, mein Gewicht zu bekämpfen. Nichts machte mich so misstrauisch wie Materie, die Kalorien enthielt. Meine Nachbarn gaben der Materie einen neuen, verführerischen Geschmack, machten das Gewicht des Lebens leichtlebig.
    In der Nacht arbeiteten sie als Rosenverkäufer. Ich begegnete ihnen immer wieder im Nachtleben, kaufte regelmäßig aus Solidarität eine Rose. Ich brauchte keine Rose keine Rose keine Rose keine Rose. Meine Nachbarn hatten in ihrer Wohnung so wenig Platz, dass sie die Wassereimer, in denen sie ihre Rosen lagerten, vor der Wohnung auf dem Hausflur aufgestellt hatten, zwischen ihrer und meiner Wohnungstür. Wenn ich in der Nacht mit einer Rose nach Hause kam, steckte ich sie also stillschweigend in einen ihrer Eimer zurück. Die konnten sie am nächsten Tag wieder verkaufen.
    Endlich begriff ich, dass ich Beate begehrte – was ich begriff, war, dass ich sie begehrte, obwohl ich nicht beim ersten Blick ans Bett gedacht hatte. Klingt das bieder, romantisch oder gar kitschig? Womöglich müde desillusioniert? Ich bin der Wahrheit verpflichtet.
    Da standen wir nach vier oder fünf Mojitos im Morgengrauen vor dem Haustor in der Lassallestraße. Alles war »schon«: Die Vögel schrien schon. Die Baumaschinen stampften schon. Nicht mehr die der Brücke, die Baumaschinen der Hochhäuser.
    Wir stiegen die Treppe hoch. Es gab kein Ganglicht. Dämmerlicht.
    Ich hatte Beate in der »Himmelfahrt-Bar« eine Rose gekauft. Vor der Wohnungstür deutete ich auf die Eimer, die da standen, alle voller Rosen, und sagte: Steck sie da rein! Die Rose. Siehst du die Eimer? Steck sie einfach dazu!
    Sie wurde fahler als der Mond. Ich weiß nicht mehr, ob sie wirklich einen Schrei ausstieß. Aber ich erzähle es gern so: Sie schrie kurz auf und sah mich an, als wollte sie flüchten.
    76.
    Sich riechen können – was heißt das? Beates Scheide roch nach Mottenkugeln. Dann meine Finger, mein Schwanz. Das Bett. Die Wohnung. Die Lassallestraße. Der Geruch ist unangenehm. Hochkonzentriert geradezu widerlich. Aber ich fand ihn komisch, zumindest verordnete ich mir, ihn komisch zu finden – bei einer Frau, die in der Mode-Branche arbeitet. Garderobefrau.
    Nichts von all dem, was unter dem Titel Geschlechtsverkehr in diesem Morgengrauen geschah, war dazu angetan, bei mir gebieterische Sehnsucht nach einer
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