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Dollars

Dollars

Titel: Dollars
Autoren: Gerben Hellinga
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die Bernard Zweerskade mündet und auf der anderen der Herman Heijermansweg, blieb ich verblüfft stehen. Hier hatte es sich in den vier oder fünf Jahren, die ich nicht mehr da gewesen war, total verändert. In diesem Viertel hatten zwar schon immer sehr reiche Leute in riesigen Villen gewohnt, aber früher, in meiner Kindheit, war das hier noch richtiger Stadtrand gewesen, mit grasüberwucherten Brachen zwischen den Häusern und wilden Müllabladeplätzen da und dort. Jetzt erhoben sich im Hintergrund, jenseits des Beatrixparks, die schwarzen Schemen aus dem Boden gestampfter Hochhäuser vor dem violetten Gewitterhimmel.
    Parallel zum Herman Heijermansweg (warum muß eigentlich ausgerechnet diese protzige Villenstraße an den alten Sozi erinnern?) verlief eine Fahrrinne, die Boerenwetering, die inzwischen nicht mehr benutzt zu werden schien. Der Damm, der sie durchschnitt (auf seiner einen Seite stand das Wasser auf Amsterdamer Pegel, also Normalnull, auf der anderen auf demPegel des umliegenden Polderlands), lag als Ruine aus Schrott und morschem Holz in dem verdreckten, trüben Wasser, das von Entengrütze und Schilf starrte. Einst hatte man hier die Boote der Gemüsebauern herübergezogen, und als Kinder hatten wir den Damm geliebt, weil man von dort so gut angeln konnte – nur beim Schlittschuhlaufen war er ein echtes Hindernis. Am anderen Ufer der Boerenwetering verlief die Haringvlietstraat, wo man kapitale Villen aus Glas und Beton in die Lücken zwischen den älteren Häusern gesetzt hatte, allerdings mit winzigen Gärten drum herum, denn in den Niederlanden herrscht nun mal Platzmangel.
    Hier war Totenstille auf der Straße, Reiche-Leute-Stille. Hinter den geöffneten Fenstern eines Glashauses sah ich einen Mann und eine Frau wie stumme Fische in einem riesigen Aquarium dasitzen. Sie hatten jeder ein überdimensionales Cocktailglas in der Hand, das sie langsam schwenkten. Ich hörte das Eis in den Gläsern klimpern. Mir lief ein kalter Schauder den Rücken hinunter, und erneut hatte ich das eigenartige Gefühl, wieder zu Hause zu sein. Mit »zu Hause« meine ich das Klima, in dem ich aufgewachsen bin. Diese beiden stummen Menschen in ihrem Glaskasten, der Griff des alten Mannes zu seinem Sherryglas, das waren für mich Symbole für eine Welt, die ich zwar längst und für immer verlassen hatte, die aber dennoch unauslöschlich in meiner Erinnerung weiterleben würde.
     
    Das Haus, in dem Jeanette wohnte, war ein Doppelhaus, aber eines von der ganz großen Sorte. Links und rechts waren die Garagen und daneben und darüber die beiden Wohneinheiten mit mehreren Terrassen und Balkons. Jede erstreckte sich über drei Etagen und hatte mindestens acht Zimmer. Links war alles dunkel und in den ersten beiden Etagen rechts auch, aber darüberbrannte Licht, das durch Vorhänge mit einer Art buntem Schottenkaro fiel. Ich ging automatisch davon aus, daß hier Jeanette wohnte.
    In der Tat war neben die obere der beiden Klingeln an der gläsernen Haustür ein gedrucktes Kärtchen gepinnt, auf dem Jeanette van Waveren stand. Mit Kugelschreiber hatte sie darunter vermerkt: wg. Post bitte nicht klingeln!
    Eine Sekunde bevor mein Finger den Klingelknopf berührt hätte, ging im Hausflur das Licht an. Ich brach die Bewegung ab, um zunächst abzuwarten, was passieren würde, vielleicht kam Jeanette ja gerade runter oder so. Durch die Gardine, die auf der Innenseite der Tür angebracht war, konnte ich einen weitläufigen, weiß getünchten und mit Parkett ausgelegten Eingangsbereich erkennen, von dem mehrere Türen abgingen. Rechts führte eine breite Treppe nach oben, die mit einem dicken, cremegelben Läufer bekleidet war.
    Wenige Sekunden später sah ich im äußersten Winkel meines Blickfelds ein Paar schwarzer Schuhe die Treppe herunterkommen, gefolgt von einem Paar Beinen, einem bläulichen Anzug und schließlich einem Gesicht darüber. Einem Gesicht, das ich irgendwoher kannte, aber nicht gleich unterbringen konnte, bis mir schockartig aufging, daß es mein italienischer Sitznachbar aus dem Flugzeug war. Eilig nahm er die letzten Stufen und kam auf die Haustür zu.
    Mit einem großen Satz war ich von der Eingangstreppe runter und mit einem zweiten um die Hausecke, wo ich ein schützendes Mäuerchen fand. Kurz darauf hörte ich, wie die Eingangstür zuschlug und sich jemand mit energischen kleinen Schritten vom Haus entfernte. Eine Autotür wurde geöffnet und wieder zugeschlagen, zwei Scheinwerferlichter bohrten sich
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