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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Ich verfüge über die wertvollste Erfahrung, die menschliche Erfahrung, denn trotz meiner Zeit am College ist es mir geglückt, eine gute Erziehung mitzubekommen.«
    »Sie schwafeln eine Menge daher.«
    »Es ist aber nicht alles Quatsch«, rief Amory leidenschaftlich. »Dies ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich den sozialistischen Standpunkt vertrete. Er ist das einzige Allheilmittel, das ich kenne. Ich bin rastlos. Meine ganze Generation ist rastlos. Ich hab die Nase voll von einem System, in dem der reichste Mann das schönste Mädchen bekommt, wenn er es will, und in dem der brotlose Künstler sein Talent an einen Knopffabrikanten verkaufen muss. Selbst wenn ich keinerlei Talent hätte, wäre ich nicht damit zufrieden, zehn Jahre zu arbeiten und entweder zum Zölibat oder zu heimlicher Ausschweifung verdammt zu sein, nur, um irgendjemandes Sohn zu einem Automobil zu verhelfen.«
    [401] »Aber wenn Sie gar nicht sicher sind…«
    »Das spielt keine Rolle«, rief Amory aus. »Meine Lage könnte nicht schlimmer sein. Eine soziale Revolution trägt mich vielleicht an die Spitze. Natürlich bin ich selbstsüchtig. Ich komme mir vor wie ein Fisch auf dem Trockenen in all diesen überholten Systemen. Wahrscheinlich war ich einer von zwei Dutzend aus meinem Jahrgang im College, die eine anständige Erziehung genossen haben; und trotzdem ließen sie jeden x-beliebigen Schwachkopf, der beim Repetitor schön gepaukt hatte, Football spielen, und ich war unwählbar, bloß weil irgendwelche verstaubten Greise fanden, wir alle sollten an den Segnungen von Kegelschnitten teilhaben. Ich habe die Armee verabscheut. Ich habe die Geschäftswelt verabscheut. Ich liebe die Veränderung, und ich habe mein Gewissen abgetötet…«
    »Und jetzt laufen Sie herum und jammern, dass wir ein schnelleres Tempo vorlegen müssen.«
    »Das zumindest ist wahr«, beharrte Amory. »Reformen werden nie mit den Bedürfnissen der Zivilisation Schritt halten, wenn man nicht dafür sorgt. Eine Laisser-faire-Politik ist dasselbe, wie ein Kind zu verwöhnen und zu behaupten, am Ende würde es schon noch ordentlich werden. Es wird – aber eben nur, wenn man dafür sorgt.«
    »Aber Sie glauben doch wohl nicht all dieses sozialistische Gewäsch, das Sie da von sich geben.«
    »Ich weiß es nicht. Bevor ich mit Ihnen sprach, hatte ich noch nie ernsthaft darüber nachgedacht. Bei vielem war ich mir überhaupt nicht sicher.«
    »Sie erstaunen mich«, sagte der große Mann. »Aber ihr seid alle gleich. Man sagt, dass Bernard Shaw, seinen [402] Lehrsätzen zum Trotz, es mit den Tantiemen von allen Dramatikern am genauesten nimmt. Auf Heller und Pfennig.«
    »Nun«, sagte Amory, »ich stelle lediglich fest, dass ich das Produkt eines wandlungsfähigen Geistes in einer rastlosen Generation bin – und allen Grund habe, Hirn und Feder in den Dienst der Radikalen zu stellen. Selbst wenn ich tief im Herzen glaubte, dass wir alle nichts als blinde Atome sind in einer Welt, die so begrenzt ist wie ein Pendelschlag, würden ich und meinesgleichen doch gegen die Tradition angehen; es wenigstens versuchen, alte Phrasen gegen neue auszutauschen. Manchmal habe ich gemeint, über das Leben Bescheid zu wissen, aber es ist schwierig, an irgendetwas zu glauben. Eines weiß ich. Wenn das Leben nicht die Suche nach dem Gral ist, dann kann es ein verdammt amüsantes Spiel sein.«
    Sie schwiegen einen Augenblick, dann fragte der große Mann: »Auf welcher Universität waren Sie?«
    »Princeton.«
    Der große Mann zeigte plötzlich Interesse; der Ausdruck in seinen Glotzaugen änderte sich ein wenig.
    »Ich habe meinen Sohn nach Princeton geschickt.«
    »Tatsächlich?«
    »Vielleicht kannten Sie ihn. Er hieß Jesse Ferrenby. Er ist letztes Jahr in Frankreich gefallen.«
    »Ich kannte ihn sehr gut. Er war einer meiner besten Freunde.«
    »Er war – ein – prächtiger Junge. Wir verstanden uns sehr gut.«
    Amory entdeckte jetzt Ähnlichkeiten zwischen Vater und totem Sohn und redete sich ein, dass er die ganze Zeit [403] ein Gefühl von Vertrautheit gehabt habe. Jesse Ferrenby, derselbe, der im College die Krone davongetragen hatte, die er damals gern gehabt hätte. Es war alles so weit fort. Was für kleine Jungs sie doch gewesen waren, die sich für blaue Bänder abmühten…
    Der Wagen hielt vor der Auffahrt zu einem großen Anwesen, das von einer riesigen Hecke und einem hohen eisernen Zaun umgeben war.
    »Möchten Sie nicht zum Essen bleiben?«
    Amory schüttelte den
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