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Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)

Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)

Titel: Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
Autoren: Lars Amend , Daniel Meyer
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wegen dem »Arschloch« hatte. Wir dürfen in der Schule nämlich keine Schimpfwörter benutzen. Aber wir waren ja noch nicht auf dem Schulgelände, also machte sie wohl eine Ausnahme.

    Ich parkte meinen Rollstuhl rechts vom Eingang, ging mit Lars ganz langsam in mein leeres Klassenzimmer zurück und legte mich aufs Sofa. Lars kraulte meinen Kopf, weil mich das immer beruhigt.
    »Was hast du nachher noch für Stunden?«, fragte er nach einer Weile.
    »Recycling. Doppelstunde«, sagte ich.
    »Was’n das?«
    »Wir nehmen Material, das eigentlich auf dem Müll landet und basteln dann daraus etwas Neues.«
    »Ah cool, so ähnlich wie Kunstunterricht.«
    »Kann sein.«
    »Hast du schon mal was von Pablo Picasso gehört?«
    »Nein.«
    »Picasso war ein ganz berühmter spanischer Maler, vielleicht der bekannteste, der jemals gelebt hat. Von ihm stammt einer meiner Lieblingssätze: Als Kind ist jeder ein Künstler. Die Schwierigkeit liegt darin, als Erwachsener einer zu bleiben. «
    »Was bedeutet das?«, fragte ich.
    »Das bedeutet, dass du die Erwachsenen alle in die Tonne klopfen kannst. Ganz ehrlich, aber das hast du nicht von mir, okay?«
    »Okay.«
    »Die meisten Erwachsenen haben nur Müll in ihren Köpfen. Aber als Kind, als Kind hast du noch einen unverfälschten Blick auf die Welt. Du bist noch nicht so abgefuckt, wie zum Beispiel dieser Penner aus dem Bus eben.«
    »Ja, der war echt doof.«
    »Ein Wichser war das.«
    Ich musste grinsen, weil Lars jetzt schon zwei verbotene Ausdrücke gesagt hatte. Am liebsten hätte ich Mama angerufen, um es ihr zu erzählen, aber wir dürfen in der Schule keine Handys benutzen.
    Nach ein paar Minuten sprang Lars plötzlich vom Sofa auf, schnappte sich einen Stuhl und setzte sich mit der Lehne nach vorne vor mich und fuchtelte mit seinen Armen wild durch die Luft: »Alter, ich muss dir unbedingt diese Geschichte erzählen. Sie passt gerade hierher, wie, wie, wie, verdammt, wie heißt das noch gleich, ah ja, der berühmte Deckel auf den Topf.«
    »Hahahaha.«
    »Bist du bereit, kleiner Prinz?«
    »Und wie!«
    Mir ging es schon besser. Ich hatte zwar immer noch Herzstechen und fühlte mich wie ein Flaschengeist, aber hier auf dem Sofa zu liegen und neue Kraft zu sammeln tat mir gut. Ich schloss die Augen, genau wie gestern, als wir im ELBE-Einkaufszentrum waren, und atmete langsam ein und aus. Ein. Und. Aus.
    »Es gab einmal einen Jungen, der spielte in einem Krippenspiel seiner Schule mit. Er war sechs Jahre alt und ging in die erste Klasse. Die Aufführung der Weihnachtsgeschichte war eine große Sache im Dorf, und alle Eltern versammelten sich voller Vorfreude in der Turnhalle, um sie sich anzusehen. Der Junge spielte einen der drei heiligen Könige. Als sie an der Reihe waren, betraten sie mit ihren Geschirrtüchern um den Kopf gewickelt den Stall und stellten ihre Geschenke auf den Boden. Der erste Junge sagte: Ich bringe dir Gold! Der zweite Junge sagte: Ich bringe dir Weihrauch. Doch der dritte Junge, der jüngste von allen, machte sich einen Spaß und sagte: Frank hat dir das geschickt! «
    Lars machte eine kurze Pause, dann sagte er: »Shit, an der Stelle hättest du eigentlich lachen müssen, aber ich Trottel hab total vergessen, dass du noch viel zu jung bist, um den Paten zu kennen.«
    »Wen soll ich kennen?«, fragte ich.
    »Siehst du! O Mann, ich Depp! Aber okay, das macht nichts. Ich kann die Geschichte auch so zu Ende erzählen. Pass auf: Das Publikum krümmte sich vor Lachen – außer natürlich der Lehrer, der das Stück einstudiert hatte. Der fand es gar nicht komisch, dass sich einer seiner Schüler nicht an den Text hielt. Am Ende der Veranstaltung war der Junge der Star des Abends, und noch Monate später redeten die Menschen über dieses Krippenspiel. Kannst du dir vorstellen, was ich dir damit sagen möchte?«
    Ich verstand seine Frage nicht und seine Geschichte auch nicht, also sagte ich: »Nein.«
    »Okay«, sagte Lars und klopfte mir sachte gegen mein rechtes Bein. »Wir haben doch eben über den Unterschied zwischen Erwachsenen und Kindern gesprochen. Du weißt schon, dass die Erwachsenen nur Müll im Kopf haben und so.«
    Ich nickte, weil ich das gut nachvollziehen konnte. Ich verstehe so vieles von dem, was sie sagen, einfach nicht. Sie reden und reden, und bei mir kommen nur Blubberbläschen an. Na gut, von dem Zeug, was Lars so von sich gab, kapierte ich auch nicht alles, aber mit ihm war es irgendwie anders. Bei ihm war alles so leicht und
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