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Diesen Partner in den Warenkorb legen

Diesen Partner in den Warenkorb legen

Titel: Diesen Partner in den Warenkorb legen
Autoren: Annabel Dilling
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mal das Kinderzimmer wird«. Was war passiert? Eske hat auf dem gemeinsamen Rechner in der URL -Leiste des Browsers jede Menge Pornoseiten gefunden – was sie zunächst erschreckte und abstoßend fand, aber: »Das machen ja heute so gut wie alle Männer. Und ich bin ja auch wirklich viel unterwegs.« Doch sie entdeckte im Seitenverlauf auch, dass ihr Freund offensichtlich bei zwei Portalen registriert und dort zumindest sporadisch aktiv war: das eine die Flirtbörse Finya, das andere ein Sex-Portal, bei dem man sich zu Videochats verabredet. Für Eske brach eine Welt zusammen: Suchte Benedikt heimlich weiter? Was fehlte ihm in der Beziehung? Und: Wo fängt Untreue an? Durch das Internet stellt sich vor allem die letzte Frage völlig neu.
    »Wer sich der freien Markterotik verschrieben hat, hat kein Interesse an Langfristigkeit«, behauptete der Philosoph Peter Sloterdijk vor einigen Jahren in einem Focus-Interview. »Die erotischen Nomaden glauben, dass sie immer weiterziehen können zu noch besseren Weidegründen und dass jeder Partner a priori hassenswert ist, weil er einen daran hindert, nach seinem Nachfolger zu suchen.«
    Zugegeben, eine pessimistische Sicht der Dinge. Aber schaut man sich die Scheidungs- und Seitensprungzahlen an, stellt man schnell fest, dass durchaus etwas dran ist an Sloterdijks Diktum vom »erotischen Nomadentum«. 400 000 Menschen lassen sich pro Jahr scheiden, jede Frau geht im Schnitt 2,1-mal in ihrem Leben fremd, jeder Mann 3,6-mal. »Die Ehe transformiert sich vom Sakrament über die Wahlverwandtschaft zum vertraglich geschützten Arrangement von Lebensabschnittspartnern«, schreibt Norbert Bolz in seinem Aufsatz »Das Begehren und der Konsum«. Die Suche ist nie zu Ende, und der Richtige ist immer nur der Richtige auf Zeit.
    Paare, die sich online gefunden haben, scheinen auf den ersten Blick gefährdeter zu sein als andere: Aus eigener Erfahrung sind sie sich des gigantischen Angebots bewusst, das im Internet zu jeder Tages- und Nachtzeit wartet, sie ahnen, dass es noch andere Kandidaten gegeben hätte, die – rein theoretisch – genauso gut gepasst hätten und mit denen sie sich nur nicht getroffen haben, weil sie gerade drei Wochen auf Gran Canaria waren oder dreihundert Kilometer entfernt leben. Warum die ausgeschlagenen »Partnervorschläge« nicht noch einmal unter die Lupe nehmen? Die Mitgliedschaft läuft ja noch ein paar Wochen, wär doch schade um das Geld …
    Letztlich sind natürlich nicht nur die Online-Dater, sondern alle, die sich in einer festen Beziehung befinden, den Verlockungen des Internets ausgesetzt – und damit auch der Möglichkeit, sich immer nach einer noch besseren Version des Partners umzusehen.
    Von allen online zusammengekommenen Paaren, die ich für mein Buch interviewt habe, wollte ich wissen, zu welchem Zeitpunkt sie eigentlich beschlossen haben, sich nur noch mit ihrem zukünftigen Partner zu treffen. Die Antworten fielen sehr unterschiedlich aus: »Erst nachdem wir zum ersten Mal miteinander geschlafen haben«, sagte Elena aus Berlin. »Ich habe mich drei Monate lang mit zwei Frauen gleichzeitig getroffen«, erzählte Stefan aus Nürnberg, »für Meike habe ich mich erst entschieden, nachdem sich die andere nicht mehr gemeldet hat.« Richtig entschlossen war eigentlich nur Frank Dietrich: Er war schon nach dem ersten Kuss mit Anna sicher, den Volltreffer gelandet zu haben. Er ließ seine Mitgliedschaft bei Parship nicht auslaufen – er kündigte sie.
    Wann hört man auf, nach Alternativen zu suchen? Beziehungsweise wann fängt man wieder an, »nur mal so zu gucken«? Und: Kann man sich des anderen je sicher sein?
    Für meine Freundin Eske war die Tatsache, dass Benedikt online nach Sex- und Flirtpartnern Ausschau hielt, ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass er sich nicht festlegen wollte. Als sie ihn zur Rede stellt, gestand er kleinlaut, dass er nur seinen Marktwert testen und einen Kick fürs Selbstbewusstsein wollte, aber niemals »ernst« gemacht hätte. Er gelobte Besserung. Sicher ist sich Eske seiner bis heute nicht – auch weil der Seitenverlauf im Browser seit Kurzem immer gelöscht ist, wenn sie – ängstlich und mit klopfendem Herzen – die zuletzt besuchten Seiten aufrufen will.
    Im Zuge der zwischenmenschlichen Globalisierung, wie Arnold Retzer die Zunahme an losen Kontakten im Informationszeitalter nannte, hat vor allem der Begriff des Commitments 22 eine unglaubliche Konjunktur erfahren. Welches Beziehungsmodell,
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