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Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann

Titel: Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
Autoren: Robin Hobb
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Sehnsucht nach Bocksburg erwachte in mir, und ich konnte nicht anders, als weiterzufragen. Nachdem wir sämtliche alten Bekannten durchgehechelt hatten, führte ich ihn herum, als wären wir zwei alte Tantchen, die sich gegenseitig besuchten. Ich zeigte ihm meine Hühner und meine Birken, meinen Garten und meine Spazierwege. Ich zeigte ihm meine Werkstatt, wo ich die Farben und Tinten herstellte, die Harm für mich zum Markt brachte. Letztere wenigstens versetzten ihn in Erstaunen. »Ich habe dir Tinten aus Bocksburg mitgebracht, aber jetzt frage ich mich, ob deine nicht von besserer Qualität sind.« Er klopfte mir auf die Schulter, genau wie früher, wenn mir die Mischung eines neuen Giftes gelungen war, und die alte, heiße Freude über das Lob meines Lehrers stieg in mir hoch.
    Wahrscheinlich zeigte ich ihm viel mehr, als meine Absicht war. Beim Betrachten meiner Kräuterbeete musste ihm der übermäßig große Anteil an Pflanzen mit beruhigender oder schmerzlindernder Wirkung aufgefallen sein. Als ich ihm meine Ruhebank auf den Klippen über dem Meer zeigte, bemerkte er sogar: »Ja, das hätte Veritas gefallen.« Doch trotz allem, was er sah oder vermutete, kam er nicht wieder auf die Gabe zu sprechen.
    Wir blieben lange auf, und ich lehrte ihn die Grundlagen von Krähes Steinespiel. Nachtauge langweilte unser endloses Gerede, und er ging auf die Jagd. Ich spürte die aufkeimende Eifersucht des Wolfs, beschloss aber, das später mit ihm ins Lot zu bringen. Nachdem wir das Spiel beiseite geschoben hatten, lenkte ich die Unterhaltung auf Chade selbst, sein Tun und Treiben. Verschmitzt lächelnd gestand er, dass er die Rückkehr an den Hof und in die höfische Gesellschaft genoss und erzählte mir – was er selten getan hatte – von seiner Jugend. Er hatte ein lustiges Leben geführt, bevor der unachtsame Umgang mit einem explosiven Gebräu sein Gesicht mit Narben entstellte und er sich aus Scham in ein geheimes Schattendasein als Meuchelmörder des Königs zurückzog. In diesen späten Jahren schien er das Leben des Jünglings von einst wieder aufgenommen zu haben, der gern tanzte und ein Faible für intime Diners mit geistreichen Damen hegte. Ich freute mich für ihn und es war nicht ganz ernst gemeint, als ich fragte: »Und wie findest du bei all diesen anderen Verpflichtungen und Lustbarkeiten Zeit für deine geheime Arbeit im Dienst der Krone?«
    Er antwortete frei heraus. »Ich komme zurecht. Und mein derzeitiger Famulus ist sowohl flink als auch geschickt. Es wird nicht lange dauern, bis ich diese alten Pflichten vollkommen in jüngere Hände legen kann.«
    Ich fühlte einen beunruhigenden Stich der Eifersucht, dass er nach mir einen neuen Lehrling genommen hatte. Im nächsten Moment wurde mir klar, wie dumm dieses Gefühl war. Das Haus der Weitseher würde immer jemanden brauchen, der in der diskreten Diplomatie des Stiletts versiert war. Ich hatte erklärt, dass ich nicht länger königlicher Meuchelmörder sein wollte, daraus folgte keineswegs, dass es keinen Bedarf für einen solchen mehr gab. Ich versuchte, meine Betroffenheit zu überspielen. »Dann ist der Turm immer noch Schauplatz der alten Experimente und Lektionen?«
    Er nickte einmal und gewichtig. »Allerdings. In dem Zusammenhang …« Er stand auf. Aus wiedererwachter langer Gewohnheit hatten wir unsere Konstellation von früher eingenommen, er im Sessel vor dem Kamin und ich zu seinen Füßen. Ich merkte es erst jetzt und staunte, wie selbstverständlich es mir vorgekommen war. Ich schüttelte über mich selbst den Kopf, während Chade am Tisch in seinen Satteltaschen kramte. Er zog eine fleckige Flasche aus hartem Leder heraus. »Ich habe das hier mitgebracht, um es dir zu zeigen. Jetzt hätte ich es über unseren Gesprächen fast vergessen. Du erinnerst dich an meine Faszination für unnatürliche Feuer und Explosionsstoffe und so weiter?«
    Ich verdrehte die Augen. Seine »Faszination« hatte uns beide mehr als einmal versengt und wie Mohren geschwärzt. An das letzte Mal, als ich Zeuge seiner Pyromagie gewesen war, mochte ich nicht denken: In der Nacht, als Prinz Edel sich unrechtmäßig zum Erben der Krone der Weitseher erklärte, hatten durch seine Künste die Fackeln zischend und Funken sprühend mit geisterhaft blauer Flamme gebrannt. In derselben Nacht war König Listenreich ermordet worden, und mich hatte man als seinen Mörder verhaftet.
    Falls auch Chade daran dachte, ließ er es sich nicht anmerken. Er kam voller Elan mit der
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