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Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit
Autoren: George R. R. Martin
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zusammenzufließen.
    Der flache, sich drehende bunte Stern verdoppelte seine Größe, verdoppelte sich noch einmal, noch einmal. Ein paar Minuten zuvor hatte er nicht existiert. Jetzt füllte er den Ring aus, brandete gegen die silbernen Wände, versengte sie mit seiner furchtbaren Energie. Er drehte sich immer schneller, ein Strudel im Raum, ein Mahlstrom aus Flammen und Licht.
    Der Strudel. Der Nullraum-Strudel. Der heulende Sturm, der kein Sturm ist und nicht heulte, denn es gibt keinen Schall im Raum.
    Ihm näherte sich das Ringschiff. Anfangs ein sich bewegender Stern, nahm es beinahe schneller, als meine menschlichen Augen dies verfolgen konnten, sichtbare Form und Gestalt an. Es wurde zu einem dunkel silbernen Geschoß in der Finsternis; ein auf den Strudel abgefeuertes Geschoß.
    Es war gut gezielt. Das Schiff traf fast genau das Zentrum des Rings. Die wirbelnden Farben schlossen sich darüber.
    Ich drückte meine Kontrollen. Sogar noch plötzlicher, als der Strudel entstanden war, war er wieder verschwunden. Das Schiff war ebenfalls verschwunden, natürlich. Wieder gab es nur mich und den Ring und die Sterne.
    Dann berührte ich einen anderen Schalter, und ich war wieder in dem leeren, weißen Kontrollraum und schnallte mich los. Schnallte mich zum vielleicht endgültig letzten Mal los.
    Irgendwie hoffte ich aber, daß das nicht so war. Ich hätte nie gedacht, daß ich irgend etwas an diesem Raum vermissen würde. Aber das werde ich. Ich werde die Ringschiffe vermissen. Ich werde solche Augenblicke, wie die von heute, vermissen.
    Ich hoffe, ich bekomme noch ein paar weitere Gelegenheiten dazu, bevor ich es für immer aufgebe. Ich möchte die Nullraum-Maschinen wieder unter meinen Händen erwachen fühlen und zusehen, wie der Strudel kocht und brodelt, während ich allein zwischen den Sternen schwebe. Noch einmal wenigstens. Bevor ich gehe.
     
    23. Juni
    Dieses Ringschiff hat mir zu denken gegeben. Noch mehr als gewöhnlich.
    Es ist komisch, daß ich bei all den Schiffen, die ich durch den Strudel habe gehen sehen, nie daran gedacht habe, eines zu leiten. Es gibt eine ganz neue Welt auf der anderen Seite des Nullraums; zweite Chance, ein üppiger grüner Planet eines so weit entfernten Sterns, daß die Astronomen noch immer darüber im unklaren sind, ob er mit uns dieselbe Galaxis teilt. Das ist die komische Sache bei den Löchern – man kann nicht sicher sein, wohin sie führen, bis man hindurchgeht.
    Als ich noch ein Kind war, habe ich eine Menge über Sternenreisen gelesen. Die meisten Leute haben nicht geglaubt, daß es einmal möglich sein würde. Aber die, die es doch geglaubt haben, nannten immer Alpha Centauri das erste System, das wir erforschen und kolonisieren würden. Am nächsten und all das. Komisch, wie unrecht sie hatten. Statt dessen umkreisen unsere Kolonien Sonnen, die wir nicht einmal sehen können. Und ich glaube nicht, daß wir überhaupt jemals nach Alpha Centauri kommen werden.
    Eigentlich habe ich nie in persönlicher Hinsicht an die Kolonien gedacht. Kann es noch immer nicht. Die Erde ist es – da habe ich damals versagt. Dort muß ich jetzt Erfolg haben. Die Kolonien wären nur ein weiteres Davonlaufen.
    Wie Cerberus?
     
    26. Juni
    Ein Schiff heute. Also war das andere doch nicht das letzte. Aber wie steht es mit diesem?
     
    29. Juni
    Warum meldet sich ein Mann freiwillig zu einem Job wie diesem hier? Warum eilt ein Mann zu einem silbernen Ring sechs Millionen Meilen hinter Pluto, um ein Loch im Raum zu bewachen? Warum vier Jahre seines Lebens allein in der Dunkelheit wegwerfen?
    Ich habe mich das in den ersten Tagen immer wieder gefragt. Damals konnte ich es nicht beantworten. Jetzt glaube ich, daß ich es kann. Ich habe damals den Impuls, der mich hier herausgetrieben hat, bitter bereut. Jetzt denke ich, ich verstehe ihn.
    Und es war nicht wirklich ein Impuls. Ich bin weggelaufen – nach Cerberus. Weggelaufen. Davongelaufen, um der Einsamkeit zu entkommen.
    Das ergibt keinen Sinn?
    Doch, es ergibt einen. Ich weiß Bescheid über die Einsamkeit. Sie ist immer das Hauptthema meines Lebens gewesen. Ich bin allein gewesen, solange ich mich erinnern kann.
    Aber es gibt zwei Stufen von Einsamkeit.
    Die meisten Leute merken den Unterschied nicht. Aber ich. Ich habe beide Arten probiert.
    Sie reden und schreiben über die Einsamkeit der Menschen, die die Sternenringe bemannen. Die Leuchttürme des Raumes und all das. Und sie haben recht.
    Es gibt Zeiten hier draußen auf Cerberus,
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