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Die Zeitbestie

Titel: Die Zeitbestie
Autoren: Asher Neal
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wuchsen. Die Ruine wiederum lag im Schatten eines Thermalgenerator-Turms aus der Zeit, als die Gegend noch unter Wasser gestanden hatte. Die Ferien waren Marjaes Idee. Sie verbrachten zwei Tage unter der Wirkung von Benzie und Disiaka und feierten mit Nandru und einem seiner Kameraden aus den Spezialkräften, wobei sie im rauen Gras und den Brennnesseln fortwährend bumsten und nur Pause machten, wenn die Wirkung der Chemie nachließ und sie sich richtig wund fühlten.
    »Das alte Haus unter dem Turm«, erinnerte Nandru sie. »Ich sage es nicht genauer, für den Fall, dass sie dich auch im Visier haben. Ich gebe dir die Anweisungen, sobald du sie hinführst. Weißt du, sie haben nicht gewagt, es zu füttern … haben es in der Isolierkammer gehalten, während sie es studierten.«
    Polly akzeptierte als Fakt, dass dort draußen irgendein wertvolles Objekt zu finden war und sie dabei eine Rolle spielen sollte. Sie witterte Geld. Sie witterte Gefahr. Jetzt schenkte sie dem glitzernden Ding in seiner Hand ihre Aufmerksamkeit.
    »Das ist Hightech, der letzte Schrei. Bei der Delta Force haben sie ein paar davon, vielleicht auch beim SAS. Wie ich schon sagte: Man nennt sie Musen.« Er musste ihr das erklärt haben, als sie nicht bei Bewusstsein war. Sie sah sich das Ding genauer an, das er ihr hinhielt. Auf seiner Handfläche lagen ein schicker Ohrstecker und ein Tropfen aus Aluminium von der Größe eines Feuerzeugs. »Das ist eine KI mit einigen Hundert Terabyte Kapazität, – im Umkreis von fünf Metern kann sie dir locker jedes idiotische Stück Silicium aufmischen.« Er packte Polly an der Schulter und drückte ihr den Tropfen in die Höhlung am Halsansatz. Es tat weh. Es tat sehr weh.
    »Was ist das? Was machst du da?«
    Er hatte sich schon ihre Handtasche geschnappt und fand einen Augenblick später das, was er suchte. Er hielt das zweite Pflaster hoch, damit sie es sehen konnte, und sie nickte und würgte, während sich die Schmerzen vom Halsansatz bis ins Genick ausbreiteten, als würde ihr jemand langsam den Kopf absägen. Nandru baute sich vor Polly auf, spreizte ihr die Beine und drückte ihr das Pflaster auf die Innenseite des Oberschenkels, sodass es gerade eben noch von dem Lederstreifen verdeckt wurde, der als Rock um ihre Hüfte lag. DP nannte man das: Doppelpflasterung. Das zweite Pflaster spendete ein ›endorphin-basiertes Naltraxon-Derivat‹ – von den Benutzern auch ›Pearly‹ genannt. Es reaktivierte überlastete Nervenrezeptoren und brachte die H-Wirkung erneut auf Trab, stellte sie wieder her. Die Schmerzen legten sich, und Polly lehnte sich zurück und sah sich die hübschen Lichter an. Vage hörte sie, wie eine Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde.
    Um fünf Uhr früh erwachte Polly auf dem Sofa in einem Zustand posteuphorischer Depression; sie zog sich aus, ging zu Bett und rollte sich dort wie ein Fötus um den Schmerz an der Oberseite der Brust zusammen. Sie wusste nicht, was Nandru getan hatte, aber sie spürte den oberhalb des Brustbeins eingepflanzten Metallklumpen. Sie versuchte wieder einzuschlafen, aber wie die Schmerzen machte ihr auch alles andere zu schaffen: nicht nur war Marjaes Bruder wieder da, komplett mit ernsthafter Waffenbestückung und einer ebenso ernsten Störung im Kopf, sondern auch die prosaischen und elenden Fakten ihres alltäglichen Lebens waren zu bedenken.
    Die Miete war überfällig, das letzte Pflaster verbraucht und die DSS-Card für ungültig erklärt worden, da man Polly erwischt hatte, wie sie ohne U-Reg-Lizenz Kunden warb. Inzwischen war auch das Finanzamt hinter ihr her, da sie noch Steuern für die von ihr bereitgestellte ›öffentliche Dienstleistung‹ schuldete. Aber Polly war entschlossen zu verhindern, dass man sie in eines der sozialen Projekte steckte, sonst der übliche Weg, wie sich solche Dinge entwickelten. Sie hatte Freunde, die das mitgemacht hatten und inzwischen für bankrott erklärt worden waren. Die Folge waren Aberkennung der Bürgerrechte und umfassende Dienstverpflichtung für die Unionsregierung. Die Ketten bestanden aus Plastikkarten und Lokalisierungshalsringen, aber niemand wagte, von Sklaverei zu sprechen.
    Um sieben wälzte sich Polly aus dem Bett und brachte sich auf Trab. Sie beschäftigte sich, um die Niedergeschlagenheit in Schach zu halten. Ohne Somagum hatte sie keine Chance, jetzt Schlaf zu finden. Die Temperatur lag bereits in den oberen Zwanzigern, und offenbar stand mal wieder ein knalliger Sonnentag
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