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Die Zeit des Boesen

Die Zeit des Boesen

Titel: Die Zeit des Boesen
Autoren: Vampira VA
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bewahren. Zugleich wuchs jedoch seine Irritation darüber, daß die Tiere zwar immer nervöser wurden, aber die Herde an keinem Punkt ihres imaginären Zusammenhalts gesprengt wurde. Soweit er es unter den herrschenden Bedingungen überblicken konnte, gab es keine Auflösungserscheinungen. Die Schafe - ob nun ältere Tiere oder wenige Tage junge - sprangen umeinander und tönten immer schriller, aber kein einziges entfernte sich hinaus in die Nacht. So als ahnten alle ohne Ausnahme, daß ihnen nur hier, inmitten der Menge, eine Überlebenschance blieb, sie draußen aber unrettbar verloren gewesen wären .
    Eine Überlebenschance wogegen? dachte Jiri, denn vergeblich hielt er Ausschau nach der Ursache dieses Tohuwabohus.
    Im nächsten Augenblick, der Hirte stand erst ein paar Schritte tief innerhalb der Herde, geschah etwas Unheimliches, das Jiris Körper vom Kopf bis zu den Zehen in eine Gänsehaut tauchte.
    Schlagartig stellten alle Schafe ihr Blöken ein.
    Eine betäubende Stille fiel über die Ebene mit dem spärlichen Graswuchs, über vereinzelt ihre Äste in den Himmel bohrenden Bäume . und schien selbst bis hinüber zu den Grenzen der Stadt -vielleicht sogar über sie hinweg - zu reichen!
    Jiri erstarrte.
    Auch das Gewoge der Leiber ringsum erstarrte.
    Die Nacht schien mit allem, was sich darin befand, einzufrieren, und möglicherweise dauerte dieser Zustand nicht länger als einen einzigen flüchtigen Moment - gerade einmal solange, wie ein Augenlid brauchte, um zu zwinkern .
    Dann barst diese Stille und mündete in ein leises Wimmern und Gewinsel, das Jiri unter anderen Umstände sicher überhört hätte.
    So aber vernahm er es nicht nur, sondern bildete sich darüber hinaus sogar ein, die Richtung bestimmt zu haben, aus der es gedrungen war. Und während sich um ihn herum bereits wieder das Blöken der Schafe aufklang und alles erneut in furchtsamen Zuckungen und Geschrei versank, bahnte sich Jiri entschieden einen Weg durch die Tiere.
    Flav? dachte er. Warst du das, Flav ...?
    Er hielt kurz inne, als er den Rand des Gewoges überschritten hatte. Seine Augen suchten in der Richtung, aus der das Winseln gekommen war. Als es nicht gelang, etwas zu erkennen, marschierte Jiri energisch weiter. Und plötzlich .
    . entdeckte er doch etwas, und zwar etwas ähnlich Unheimliches, ähnlich Gespenstisches wie das vorübergehende Schweigen und Ruhen der Herde: Ein Licht.
    Ein pulsierendes, nie gesehenes Licht geradeaus in der Nacht, in Form und Gestalt einer unirdisch schönen Frau nicht nur ähnlich, sondern gleich .
    *
    Während Jiri, wie von einem Magneten angezogen, auf das Licht zuging, schweiften seine Gedanken zu seinem Bruder Frantisek, der sich im Haus ihrer Eltern eingerichtet und Jiri vor die Tür gesetzt hatte. Frantisek war fast einen Kopf größer als Jiri und stark wie ein Ochse. Vor zwei Jahren war erst ihre Mutter und ein paar Wochen danach auch ihr Vater an einem grassierenden Fieber gestorben. Danach war es öfter zum Streit zwischen den Geschwistern gekommen, und eines Tages hatte Frantisek seinem zwei Jahre jüngeren Bruder gedroht, ihn windelweich zu prügeln, wenn er noch einmal seinen Fuß über die Schwelle ihres Elternhauses setzen würde .
    Jiri hatte darauf verzichtet - nicht nur aus Angst, auch aus Stolz. Da Frantisek keine Ansprüche auf die Herde ihres Vaters erhoben hatte, schlug Jiri sich seither recht und schlecht durchs Leben. Er schlief in einem kleinen Stall, was sommers nicht weiter schlimm war. Nur der zurückliegende zweite Winter war brutal gewesen, und um ein Haar hätte Jiri seinen Bruder besucht, um reumütig die Wiederaufnahme in das Haus zu erbetteln, das ihnen eigentlich bei-den zustand.
    Letztlich hatte er es aber dann doch sein lassen. Daß er seinen Bruder regelrecht haßte, war ihm nie so bewußt geworden wie . in diesen Momenten, da er auf die Lichtfrau zuschritt.
    Lichtfrau?
    Jiri hielt inne. Sein Magen verkrampfte sich, weil er urplötzlich überzeugt war, dies alles hier entweder nur zu träumen - oder es mit einer Ausgeburt des Wahnsinns zu tun zu haben. Seines Wahnsinns! Frantisek hatte ihn oft genug für verrückt erklärt.
    Frantisek .
    Jiri ballte die Fäuste und stolperte weiter. Als ihm bewußt wurde, daß er den Hirtenstab offenbar verloren hatte, war ihm diese Erkenntnis nicht wichtig genug, um zurückzulaufen.
    Noch zehn Schritte . acht . vier .
    Die Schönheit der Frau traf und erschütterte ihn wie eine Urgewalt. Seine Fäuste öffneten sich. Sein
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