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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin
Autoren: Heidi Rehn
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An seiner Stelle rückte Lindström in den Rang eines Hauptmanns nach.
    Seither liebte er es, Englund die neuerworbene Macht bei jeder Gelegenheit zu beweisen. Besonders gern schickte er ihn zu aussichtslosen Manövern. Ein solches war wohl auch der im letzten Moment beschlossene Raubzug zum Landsberger Salzstadel im März 1647. Eigentlich befanden sich um diese Zeit die schwedischen Truppen, denen Rupprecht und Magdalena als Wundärzte zugeteilt waren, bereits auf dem Weg nach Kempten. Englund und noch ein paar weiteren Soldaten aus einem anderen Fähnlein befahl Lindström jedoch aus einer schieren Laune heraus umzukehren. Im Morgengrauen eines nebligen Tages brachen sie auf, obwohl jeder die Vergeblichkeit dieser Aktion ahnte. Nur zwei kehrten später schwer verwundet von der Mission zurück. Alle anderen hatten ihr Leben gelassen. Englund, so berichteten die beiden Überlebenden, war gleich im ersten Schusswechsel tödlich getroffen vom Pferd gefallen. Magdalena und Rupprecht wussten nur zu gut, dass er damit sein Ziel erreicht hatte: im Kampf zu sterben. Nichts anderes hatte er seit seiner Zurücksetzung herbeigesehnt.
    Vorher aber hatte er Rupprecht noch den einen der beiden Bernsteine gegeben, wie Magdalena nun, gut anderthalb Jahre später, erstaunt feststellte. Dass Rupprecht so lange nichts davon gesagt hatte! Sie biss sich auf die Lippen, um die Tränen zurückzuhalten. Wut und Enttäuschung kämpften in ihr. Längst vergessen geglaubte Bilder tauchten in ihrem Kopf auf: der blonde Schwedenhauptmann, wie er den Bernstein in den Fingern drehte, ihn zum Mund hob und küsste. Englund, wie er den Namen seines Vetters Eric mit einem Leuchten in den Augen aussprach, als handele es sich um einen Heiligen. Am Ende hatte er also Rupprecht den kostbaren Stein überlassen, sicherlich mit einer bestimmten Absicht. Etwas in ihr sträubte sich gegen das, was es bedeutete: Dass Ruprecht sie hintergangen hatte, weil er nicht wollte, dass sie den Bernstein zurückbekam. Sie wollte es nicht wahrhaben. Ihr Blick streifte den Gefährten. Er röchelte und kämpfte in ihrem Schoß seinen allerletzten Kampf.
    »Warum hast du ihn mir nicht gleich gegeben?«
    Rupprecht kniff die Augen zusammen. Auch ihm gelang es nicht, die Tränen zu unterdrücken. Bald schimmerten sie unter den dunklen Wimpern hervor, glitzerten silbern im Sonnenlicht. Das Heben und Senken seines Brustkorbs wurde hektisch. Wieder gurgelte es aus seiner Kehle.
    »Dazu war also einfach keine Zeit.« Entschlossen übernahm Magdalena das Sprechen für ihn. »Englund hat dir vertraut, dass du es tust. Du aber hattest Angst, ich könnte doch wieder an Eric denken, und hast es deshalb immer wieder hinausgezögert, bis es irgendwann zu spät war. O Rupprecht! Wie konntest du nur so kleinmütig sein? Haben dich die letzten beiden Jahre, die wir miteinander verbracht haben, so wenig überzeugt? Längst musste dir doch klar sein, was du für mich bedeutest!«
    Auch ihr flossen die Tränen inzwischen ungebremst aus den Augen. Sie schluckte und schniefte, ihr Körper bebte.
    Ein letztes Mal ruckte sein Kopf. Sie verstand, dass er sie noch auf etwas anderes aufmerksam machen wollte. Ein Papier steckte unter seinem Hemd, zerknittert und schmutzig von den Steinen, die seinen Leib zermalmt hatten. Dennoch gelang es ihr, es zu entfalten und die Schrift zu lesen. Es war eine Nachricht an Englund, datiert aus dem besagten März 1647, als er auf Lindströms Geheiß in den sicheren Tod beim Kampf um den Landsberger Salzstadel geritten war. Zu Lebzeiten hatte er den Brief nicht mehr erhalten. An seiner statt hatte Rupprecht ihn entgegengenommen und aufbewahrt. Also musste etwas Wichtiges darin stehen.
    Magdalenas Finger zitterten. Kaum konnte sie das Blatt halten. Eilig überflog sie die Zeilen, verstand nicht, las noch einmal, zwang sich dieses Mal, die Buchstaben zu entziffern, die Worte zu einem sinnvollen Ganzen zu verbinden. Jemand teilte Englund in dem Schreiben mit, dass in einem Gehöft südöstlich von Rothenburg seit Monaten bereits sein Vetter Eric Grohnert Quartier gefunden habe.
    »Seit Monaten?« In Magdalena explodierte etwas. Von innen heraus fühlte sie den Schmerz aufsteigen. Sie rang nach Luft, presste sich die Hand auf den Leib, zwang sich, den Brief zu Ende zu lesen, aufmerksam, Wort für Wort. Weiter hieß es, dass außer Englunds Vetter bis vor kurzem auch eine blonde Frau und ein kleines, rotblond gelocktes Kind auf dem Anwesen zu finden gewesen seien. Offenbar
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