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Die Wuensche meiner Schwestern

Die Wuensche meiner Schwestern

Titel: Die Wuensche meiner Schwestern
Autoren: Lisa van Allen
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oder?«
    »Wieso?«
    »Hirnschaden. Du bist als Baby auf den Kopf gefallen.«
    »Halt die Klappe, das bin ich nicht«, erwiderte sie. Sie hatte keine Lust, mit ihm zu streiten, obwohl sie sich danach manchmal besser fühlte. »Findest du das denn nicht sonderbar?«
    Carson antwortete schläfrig: »Vielleicht verkauft Tante Aubrey Antiquitäten.«
    »Nein«, widersprach Nessa.
    Neben dem alten Krempel, der aus jeder Ecke des Turmzimmers quoll, hatte es auch neuere Sachen gegeben. Modernes Zeug. Eine Micky-Maus-Brotdose. Ein Hochzeitskleid, das halb vom Bügel gerutscht war. Einen vertrockneten Strauß Rosen, der eine rötlich schwarze Farbe angenommen hatte. Sie hatte ein paar Bücher gesehen, einen Kindersitz, eine halbangezogene Barbiepuppe, ein Paar Kätzchen-Buchstützen, einen roten Waggon, leuchtende Turnschuhe, ein Kruzifix, eine Vase …
    Carson schlief bei ihrer Aufzählung ein, doch Nessa blieb wach und starrte an die Decke. Ihr Haus in White Plains befand sich in einer ruhigen Sackgasse, wo sienachts höchstens einmal den Golden Retriever ihrer Nachbarn bellen hörte. Hier in der Strickerei schien die Nacht voller Geräusche und Gefahren zu sein. Sie hörte den Straßendschungel – Autos, aus denen schwere Bässe dröhnten, Leute, die einander durch beengte Gassen etwas zuriefen, ein Baby, das schrie, schrie und schreien gelassen wurde. Sie hörte das Haus selbst ächzen und knurren wie den Magen eines großen Ungeheuers, in dem sie gefangen war.
    »Carson?«, flüsterte sie. »Bist du noch wach?«
    Er antwortete nicht. Wie erwartet.
    Die Strickerei hatte etwas an sich, das sie misstrauisch machte. In der Dunkelheit des Schlafzimmers kam es ihr überflüssig vor, die Augen zu schließen.
    * * *
    Stunden später in derselben Nacht schreckte Aubrey aus dem Tiefschlaf auf, was ungewöhnlich war. Von einem nächtlichen Pochen wurde sie normalerweise nicht geweckt. Der Igel räumte zu allen möglichen Zeiten seinen Käfig um oder rannte auf seinem Laufrad, doch das hörte sie schon seit Jahren nicht mehr. Ebenso wenig wie die Worte von Passanten, die so klar und deutlich in ihr Zimmer drangen, als säße der Sprecher auf der delligen braunen Chaiselongue in ihrem Schlafzimmer, statt sich unten auf dem Bürgersteig zu unterhalten. »Du würdest auch ein Erdbeben verschlafen«, pflegte Mariah mit leichter Bewunderung in der Stimme zu sagen.
    Aber heute Nacht stimmte etwas nicht. Ein Laut, ein Pochen. Aubrey wachte auf und blieb reglos liegen. Sie lauschte angestrengt. Was war das? Holte Nessa sich ein Glas Wasser? Hatte Carson sich verlaufen? Die Geräusche – ein leises Schlurfen, unregelmäßige dumpfe Schläge – waren zu gedämpft, um unschuldig zu sein: Es warendie Geräusche von jemandem, der versuchte, leise zu sein.
    Einen Moment lang dachte sie: Das ist nicht real. Doch sie wusste es besser.
    In Tappan Square lebten lauter gute Menschen – hart arbeitende Eltern, Mütter, die ihre Lebensmittel in Einkaufswagen nach Hause schoben, Männer, die ihre Gartenstühle auf den Bürgersteig stellten und Zigarren rauchten. Doch neben all den guten Menschen gab es auch jene, vor denen man sich in Acht nehmen sollte. Irgendjemandes durchgedrehten Sohn. Jemanden, der Geld brauchte. Den Freund von einem Freund.
    Hoffnungsvolle Diebe hatten es schon immer auf die Strickerei abgesehen; die Gerüchte von einem Schatz waren eine Verheißung für große und kleine Ganoven. Doch dasselbe Gerede, das neugierige Kriminelle anlockte, wirkte zugleich als Abschreckung. Das letzte Mal war die Strickerei in den frühen Siebzigern ausgeraubt worden, als ein paar bekiffte Hippies in das leere Haus eingedrungen waren und nur das mitgenommen hatten, was sie in ihren Makrameebeuteln tragen konnten. Kurz nach dem Raub, der Mariah erschüttert, aber keinesfalls eingeschüchtert hatte, waren die Diebe bei Jersey City gefunden worden, wo sie auf einem zum Geisterschiff mutierten Rennboot den Hudson hinuntertrieben, nackt, blau angelaufen und tot, mit der Ausbeute aus der Strickerei um sie herum verteilt. Offiziell sprach die Polizei von einer Überdosis. Inoffiziell glaubte ganz Tarrytown, der Teufel habe sie in den Wahnsinn getrieben. Die Gerüchte hatten gereicht, um die meisten Gauner Tarrytowns von der Strickerei fernzuhalten.
    Doch mittlerweile veränderte sich die Nachbarschaft mit jedem Tag ein bisschen mehr. Neue Leute aus der ganzen Welt strömten wie Ebbe und Flut herein und wieder hinaus und zeigten nur wenig Verständnis
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