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Die Wuensche meiner Schwestern

Die Wuensche meiner Schwestern

Titel: Die Wuensche meiner Schwestern
Autoren: Lisa van Allen
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verzauberten Spinnräder. Keinerlei Geister.
    Carson seufzte. »Das ist langweilig. Ich lese lieber weiter in meinem Comicroman.«
    »Du meinst dein Bilderbuch.«
    » Comic buch.«
    »Egal.« Nessa schloss eine Tür hinter sich. »Was ist mit dem Turm? Willst du den denn nicht finden?«
    Carson zuckte die Achseln.
    »Was? Bist du ein Feigling?«
    Carson runzelte die Stirn. »Nein.«
    »Ein Idiot? Bist du ein kleiner Idiot?«
    »Mir ist der blöde Turm einfach egal.«
    Nessa blies sich so stark auf, wie es ihre schmalen Schultern zuließen. Ihre Mutter hatte ihr erzählt, der Turm gehörte zu einem Anbau, der dem Haus irgendwann im späten neunzehnten Jahrhundert hinzugefügt worden war. Im Erdgeschoss erweiterte der Anbau den Raum, den sie Salon nannten, den jedoch offensichtlich niemand benutzte. Doch Nessa hatte keine Ahnung, was sich im oberen Teil befinden mochte. Sie vermutete, dass es nicht einfach war, in die Spitze des Turmes mit den drei gotischen Bogenfenstern und dem extrem spitzen Dach zu gelangen. Aber wahrscheinlich hätte der Turm sie auch kein bisschen interessiert, wenn jemand eine Tür geöffnet und Hier entlang, bitte gesagt hätte.
    »Na gut. Dann gehe ich eben ohne dich«, sagte sie.
    »War schön, dich gekannt zu haben, Ungeheuer«, erwiderte Carson.
    »Ich hab dir doch gesagt, dass du mich nicht so nennen sollst!«
    »Ungeheuer von Loch Ness. Bettnässer. Nesselsucht.«
    »Halt die Klappe!« Sie stampfte davon, nicht mehr bemüht, leise zu sein, um zu zeigen, dass sie keine Angst hatte. Sie ging bis zum Ende des Flurs, wo sich das Zimmer ihrer Tante befand, und stand vor dem Türgriff aus leuchtendem Kristallglas.
    Aubreys Zimmer.
    Sie drehte den Knauf. Aubreys Schlafzimmer war etwas größer als die anderen, doch ebenso spartanisch, ordentlich und einfach eingerichtet. Es gab darin Anzeichenvon Leben – ein aufgeschlagenes Buch auf den Kissen, ein paar Topfpflanzen, ein hübscher Goldfisch in einer Glasschüssel, eine Art Hamsterkäfig – sie konnte jedoch keinen Hamster sehen – und sogar ein kleiner Fernseher. Aber keine Xbox. Kein Fön. Kein Make-up. Kein Parfüm. (Ihre Tante hatte ganz offensichtlich keinen Freund.) Und keine Treppe, die zum Turm hinaufführte.
    Nessa wollte schon umkehren. Und doch konnte sie aus irgendeinem Grund nicht gehen. Ihr Hirn bewegte ihren Körper wie eine Marionette und führte sie durch Aubreys Schlafzimmer. Sie hatte keine Angst. Sie fühlte sich wie elektrisiert. Und war sich so gewiss . Das Gefühl sagte ihr, sie solle die knarrende Tür an der hinteren Wand von Aubreys Zimmer öffnen, die aussah, als führte sie in eine Kammer, was aber anscheinend nicht stimmte. Sie bedeutete ihr, die modrige schmale Wendeltreppe mit den engen Kurven hinaufzusteigen, obwohl es ihr eher so vorkam, als stiege sie hinab, tiefer hinab in die Dunkelheit und noch tiefer, bis die Dunkelheit sich wie ein Morgennebel verzog und sie ihn endlich gefunden hatte. Sie war in der Spitze des Turms angelangt. Und hielt die Luft an. Sie befand sich inmitten eines Märchens, Gold hier, Silber da, eine funkelnde und glänzende Fundgrube, die nur darauf gewartet hatte, von ihr entdeckt zu werden, die, irgendwie, auf sie allein gewartet hatte.
    Sie verharrte nur einen Moment, doch lang genug. Als ihr Bruder sie später fragte, ob sie den Turm gefunden habe, sagte sie nein, nicht weil sie log, sondern weil sie nicht ganz verstand, was sie eigentlich gefunden hatte.
    Erst viel später in der Dunkelheit, nachdem ihre Mutter sie beide ins Bett gebracht hatte, kam ihr das, was sie sagen wollte, etwas weniger verrückt vor, und sie erzählte Carson die Wahrheit. Sie versuchte zu beschreiben, was sie gesehen hatte: »Es war wie eine Höhle im Piratenfilm. Eine Schatzkammer.« Dort oben, unter der kegelförmigenDecke des Turms mit seinen drei kleinen Fenstern in der Mauernische, hatte sie ein Set Elfenbeinkämme und eine gigantische vergoldete Bibel in einer fremden Sprache gefunden. Sie stieß auf eine Weinflasche aus dem Jahr 1887, deren Etikett so verblasst war, dass es einem verwitterten Grabstein glich. Es gab Ölgemälde, Porzellanfiguren, Kristallgläser, Juwelen in juwelenbesetzten Schachteln, eine Schreibmaschine, einen Kronleuchter und vieles mehr.
    Nessa schloss mit den Worten: »Und das Merkwürdige daran ist, dass ich so ein … ich weiß nicht … Gefühl hatte. Als wüsste ich einfach, wo der Turm ist. Obwohl ich nie zuvor dort war.«
    »Na, du weißt aber schon wieso,
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