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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker
Autoren: John Irving
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sein.
    »Können Sie
mich nicht achtundvierzig Stunden lang betäuben?« fragte ich ihn.
    »Hundert
Prozent!« brüllte Vigneron. »Das fragen sie immer!«
    »Achtundvierzig
Stunden?« überlegte ich. »Und wie soll ich da pinkeln?«
    »So schnell Sie
können«, riet er mir und drückte auf die aufrechte Brustwarze auf dem
Untersuchungstisch, als sei sie eine Ruftaste für Krankenschwestern und
Anästhesisten – die ihm das blankpolierte Skalpell für seine chirurgische
Heldentat bringen würden. Ich konnte es mir genau vorstellen. Eine schlanke
Version einer Abflußspirale. Eine lange, röhrenförmige Rasierklinge, wie der
Mund eines Neunauges in Miniaturausgabe.
    Dr. Jean-Claude
Vigneron beäugte mich, als sei ich ein Bild, das er noch nicht ganz
fertiggemalt hätte. »Die Wassermethode?« tippte er.
    »Erraten«,
sagte ich. »Hat irgendeiner Ihrer Patienten sich je für die Operation
entschieden?«
    »Nur einer«,
meinte er, »und bei dem wußte ich’s von Anfang an. Das war ein praktischer,
wissenschaftlicher Mensch, sehr konsequent. Er war der einzige, der auf dem
Untersuchungstisch die Titte sofort weglegte.«
    »Ein
harter Mann.«
    »Ein
gefestigter Charakter«, meinte Vigneron. Er zündete sich eine übelriechende,
dunkle Gauloise an und inhalierte unerschrocken.
    Später, als ich schon mit der Wassermethode lebte, dachte ich
über seine vier Möglichkeiten nach. Mir fiel eine fünfte ein: französische
Urologen sind Quacksalber, frag nach einer anderen Meinung, frag nach vielen
anderen Meinungen…
    Ich hatte meine
Hand auf einem echten Busen liegen, als ich [15]  Vigneron anrief, um ihm von dieser fünften
Methode zu erzählen, damit er sie seinen Patienten anbieten konnte.
    »Erstaunlich!«
schrie er.
    »Sagen Sie
nichts. Wieder hundert Prozent?«
    »Hundert
Prozent!« polterte er los. »Und immer ungefähr drei Tage nach der Untersuchung.
Sie liegen zeitlich genau richtig!«
    Ich sagte
nichts mehr in die Sprechmuschel. Die Brust in meiner Hand fühlte sich wie
Plastik an. Aber nur für diesen kurzen Augenblick; sie erwachte zum Leben, als
Vigneron lautstark weiterredete.
    »Es geht nicht
um eine andere Meinung. Machen Sie sich doch nichts vor.
Die Geographie Ihres Urogenitaltraktes ist eine Tatsache. Ich
könnte sie Ihnen genau aufzeichnen, eine Skizze anfertigen…«
    Ich legte auf.
»Die Franzosen konnte ich noch nie leiden«, sagte ich zu ihr. »Dein Gynäkologe
kann mich wohl nicht ab, daß er mir diesen Sadisten empfiehlt. Er haßt die
Amerikaner, und deshalb ist er wahrscheinlich mit seinen gottverdammten
Abstrichröhrchen dahergekommen und…«
    »Schwachsinn«,
meinte sie, bereits mit geschlossenen Augen. Sie ist kein großer Redner vor dem
Herrn. »Worte«, sagt sie einfach nur. Sie hat eine ganz bestimmte Geste, mit
der sie ausdrückt, was sie von Worten hält: Sie lupft mit ihrem Handrücken eine
Brust. Sie hat schöne, volle Brüste, aber sie braucht einen BH . Ich liebe ihren Busen; ich frage mich jetzt, wieso ich dieses
Tittenimitat von Vigneron auch nur angeguckt habe. Wenn ich noch mal da wäre,
würde ich die Titte nicht in die Hand nehmen. Oder doch. Sie jedenfalls
würde so ein Ding nie brauchen. Sie ist ein praktischer, nüchterner Mensch,
sehr konsequent und gefestigt. Wenn sie unter diesen vier Möglichkeiten
auswählen müßte, würde sie sich für die Operation entscheiden. Das weiß ich
genau. Ich hab sie danach gefragt.
    [16]  »Den
Eingriff«, sagte sie. »Wenn man was reparieren kann, dann soll man es auch
tun.«
    »Das mit dem
Wasser ist gar nicht so schlecht«, entgegnete ich. »Ich mag Wasser. Es tut mir
gut, hat viele Vorteile. Und ich habe auch größere Erektionen. Wußtest du das?«
    Sie hebt die
Hand an, und eine Brust steht aufrecht. Ich mag sie wirklich sehr gern.
    Sie heißt
Tulpen. Ihre Eltern wußten weder, daß es ein deutsches Wort ist, noch, was es
bedeutet, als sie ihr diesen Namen gaben. Ihre Eltern waren Polen. Sie starben
friedlich in New York, aber Tulpen wurde in einem Militärkrankenhaus bei London
geboren, mitten im Krieg. In diesem Krankenhaus gab es eine nette
Krankenschwester, die Tulpen hieß. Sie mochten die Krankenschwester, wollten
alles, was mit Polen zusammenhing, vergessen, und sie dachten, die
Krankenschwester sei Schwedin. Niemand wußte, was Tulpen bedeutet, bis Tulpen
auf der High School in Brooklyn Deutsch hatte. Sie kam nach Hause und sagte es
ihren Eltern, die sehr überrascht waren; aber es war nicht der Grund dafür, daß
sie
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