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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker
Autoren: John Irving
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Bleistiften und Briefmarken sprechen, und wohl auch nicht
von einem zerrissenen, kleinen Fetzen eines halbfertigen Gedichtes. Schließlich
konnte man doch, bei einer Dichterin, sogar Worte fruchtbar machen.
    Doch die
Gedichte von Elsbeth hatten ihm nie gefallen, und danach wanderte er fast eine
Meile am Strand entlang, ehe er sich ins kühle Naß stürzte, um ganz
sicherzugehen, daß sie ihn nicht hörte und sich beleidigt fühlte.
    Bogus
informiert den Kassettenrecorder: »Ich beschließe, mir sehr viel Mühe zu geben,
höflich zu sein.«
    Die ersten
Strahlen der Morgensonne fallen auf Fitchs manikürten Rasen, und Bogus sieht,
wie der alte Mann, der keinen Schlaf findet, wieder auf die Veranda
herauskommt, einen Blick nach draußen wirft. Was für eine Zukunft steht mir
bevor, fragt sich Trumper, wenn Fitch in seinem Alter immer noch unter
Schlaflosigkeit leidet?

[33]  5
    Jetzt ein schöner Traum
    Ich leide nicht mehr unter Schlaflosigkeit. Dafür hat Tulpen
gesorgt. Sie weiß, daß sie mich nicht mir selbst überlassen darf. Wir gehen zu
einer vernünftigen Zeit zu Bett, wir lieben uns, wir schlafen. Wenn sie mich in
der Nacht wach vorfindet, lieben wir uns noch einmal. Trotz jeder Menge Wasser
schlafe ich ausgezeichnet. Nur tagsüber suche ich nach Beschäftigungen.
    Früher habe ich
sehr viel zu tun gehabt. Ja, ich war Doktorand, promovierte in Vergleichender
Literaturwissenschaft. Mein Doktorvater und mein Vater hatten die gleiche
Meinung über Spezialisierung. Einmal, als Colm krank war, wollte mein Vater ihm
nichts verschreiben. »Ist ein Urologe etwa ein Kinderarzt?« Na ja, wer hätte
das behaupten wollen? »Geh zu einem Kinderarzt. Du promovierst doch, oder? Da
mußt doch gerade du wissen, wie wichtig es ist, sich zu spezialisieren.«
    Und ich wußte
es in der Tat. Mein Doktorvater, Dr. Wolfram Holster, gab zu, daß er es noch
nie mit etwas derartig Speziellem wie bei mir zu tun gehabt hatte.
    Ich hatte
wirklich ein seltenes Dissertationsthema, das muß ich zugeben. Meine Arbeit
sollte die Übersetzung von Akthelt und
Gunnel werden,
einer altniedernordischen Ballade; ja, es sollte die einzige Übersetzung
überhaupt werden. Altniedernordisch ist keine sehr bekannte Sprache. In einigen
altwestnordischen und altostnordischen satirischen Gedichten tauchen ein paar
verächtliche Bemerkungen darüber auf. Altostnordisch ist eine tote
nordgermanische Sprache, die sich zu Isländisch und Färöisch weiterentwickelt
hat. Altwestnordisch ist ebenfalls tot, und auch Nordgermanisch. Das hat sich
zu Schwedisch und Dänisch [34]  entwickelt.
Norwegisch entstand aus etwas, was zwischen Altostnordisch und Altwestnordisch
liegt. Aber die toteste dieser Sprachen, Altniedernordisch, hat sich zu gar
nichts entwickelt. Es ist ein so ungehobelter Dialekt, daß nur ein einziges
Opus je in dieser Sprache verfaßt wurde: Akthelt
und Gunnel.
    Ich wollte
meiner Übersetzung eine Art etymologisches Wörterbuch des Altniedernordischen
anhängen, ein Wörterbuch über seine Ursprünge. Dr. Holster zeigte sehr großes
Interesse an solch einem Wörterbuch; er meinte, es könnte etymologisch durchaus
von Nutzen sein. Aus diesem Grunde stimmte er meinem Dissertationsthema zu;
eigentlich hielt er Akthelt und
Gunnel für
Schrott, obwohl es ihm sehr schwerfiel, das zu begründen. Dr. Holster kann
überhaupt kein Altniedernordisch.
    Zuerst fand ich
den Wörterbuchteil sehr schwierig. Altniedernordisch ist wirklich verdammt alt,
und die Ursprünge liegen größtenteils im Verborgenen. Es war einfacher, sich
vorwärts zu orientieren, zum Schwedischen, Dänischen und Norwegischen hin, um
zu sehen, was später aus diesen altniedernordischen Worten wurde.
Hauptsächlich, so fand ich heraus, war es nur eine schlechte Aussprache des
Altwestnordischen und Altostnordischen.
    Dann entdeckte
ich eine Möglichkeit, mir die Sache mit dem Wörterbuch etwas leichter zu
machen. Da niemand irgend etwas über Altniedernordisch wußte, konnte ich
einiges erfinden. Ich habe sehr viele Ursprünge einfach erfunden. Dadurch wurde
auch die Übersetzung von Akthelt und
Gunnel einfacher.
Ich fing damit an, mir eine Menge Wörter auszudenken. Es ist sehr schwer,
richtiges Altniedernordisch von erfundenem Altniedernordisch zu unterscheiden.
    Dr. Wolfram
Holster schaffte das nie.
    Doch es fiel
mir schwer, die Dissertation zu Ende zu bringen. Ich würde gern behaupten, daß
ich aus Ehrfurcht vor den Helden aufgehört habe. Es war eine sehr
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