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Die Wiedergeburt

Die Wiedergeburt

Titel: Die Wiedergeburt
Autoren: Brigitte Melzer
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sondern der eines Schattens dahinter – groß und von nahezu menschlicher Gestalt. Sie griff nach der doppelläufigen Pistole auf ihrem Nachttisch, stand auf und ging langsam zum Fenster. Noch immer glaubte sie, die messerscharfen Zähne zu spüren, die sich in ihren Hals gruben und das Fleisch herausrissen. Doch es waren nicht nur die Nachwirkungen des Albtraums, die sie jetzt nach ihrer Kehle greifen ließen, sondern auch die Erinnerungen an Viktor. Unwillkürlich strich sie über die Narben, die ihr Bruder an ihrem Hals hinterlassen hatte. Dein Blut ist sein Geschenk an mich. Aus Viktors Worten hatte die Grausamkeit des Unendlichen gesprochen. Der Erste Vampyr tötete nicht nur, um sich zu ernähren – er tötete aus purem Vergnügen. Wie sonst ließe sich erklären, dass er sie am Leben gelassen und Viktor zu seinesgleichen gemacht hatte.
    Eine Diele knarrte unter ihren Füßen. Sie hob die Pistole und riss den Vorhang zurück. Die Nacht drängte gegen die Fensterscheibe, als begehre sie Einlass, doch weder hinter dem Vorhang noch draußen war jemand zu sehen. Alexandra ließ die Waffe sinken und spähte auf die Gasse. Nachdem sie auch dort nicht das Geringste entdecken konnte, öffnete sie das Fenster und steckte den Kopf hinaus. Wenn sie nichts sah, würde sie vielleicht etwas hören. Doch es wollte ihr nicht gelingen, etwas anderes zu vernehmen als das entfernte Rattern einer Droschke und das Gelächter trunkener Männer.
    Sie war sich nicht mehr sicher, ob sie tatsächlich einen Schatten hinter den Vorhängen gesehen hatte. Womöglich hatte sie sich von den Falten des Stoffes narren lassen. Noch einmal ließ sie ihren Blick durch die dunkle Gasse schweifen, an der gegenüberliegenden Hauswand emporwandern und über die Dächer gleiten. Als sie noch immer nichts Ungewöhnliches entdecken konnte, schloss sie das Fenster und zog die Vorhänge wieder vor.
    Diesmal mochte sie sich getäuscht haben, dennoch ließ sich nicht leugnen, dass sie sich seit Tagen beobachtet fühlte. Ein eigenartig warmes Gefühl, das ihre Haut prickeln ließ, als würde ein fremder Blick sie berühren, und das selbst in ihrer Kammer nicht weichen wollte. Doch so sehr sie auch nach einem Ursprung suchte, war es ihr bisher nicht gelungen, einen Verfolger auszumachen. Dennoch hatte Alexandra einen Verdacht. Die Jäger hatten gesehen, wie Lucian die Kapelle verließ. Sie hatten sogar auf ihn geschossen! Sie wissen von ihm und sie scheinen zu ahnen, dass ihm nur mit dem Schwarzen Kreuz beizukommen ist! Wie lange würde es dauern, bis Vladimir versuchen würde, das Kreuz an sich zu bringen?
    Alexandra kehrte zum Bett zurück, legte die Waffe auf den Nachttisch und kroch unter die Decke. Es dauerte lange, bis der Schlaf wieder zu ihr fand. Unruhig wälzte sie sich von einer Seite zur anderen, als die Nachtmahre an ihr zerrten und sie immer tiefer in ihr finsteres Reich rissen.
    Einmal mehr war Lucian an ihrer Seite. Diesmal jedoch waren es Erinnerungen, die sie verfolgten. Lucian, der sie vor den Schergen des Unendlichen bewahrte und sie in einem Keller versteckte. Lucian, der ihr seine tragische Lebensgeschichte offenbarte und ständig in ihrer Nähe zu sein schien. Seine ernste Miene, in der stets mehr Sorge um sie als Angst um seine eigene Existenz zu finden war. Es gibt nichts, wovor er sich fürchten müsste , schrie ihr eine Stimme aus der Dunkelheit entgegen. Der Mann ist ein Monster, dem nichts etwas anhaben kann! Einen Herzschlag später sah sie die Kreatur, die er war: knurrend, mit messerscharfen Reißzähnen und mörderischen Klauen, die sonst blauen Augen farblos, das Gesicht zu einer Fratze verzerrt. Er schlug nach ihr und versuchte sie in Stücke zu reißen, doch obwohl sie ein leichtes Opfer war, bekam er sie nicht zu fassen. Wieder und wieder durchschnitten seine Klauen die Luft. Erst jetzt bemerkte Alexandra, dass jemand sie festhielt. Ihr Blick fiel auf die beiden Männer an ihrer Seite. Schergen des Unendlichen, die versuchten, sie zu ihrem Meister zu zerren. Auf sie hatte Lucian es abgesehen, nicht auf Alexandra! Der Griff der Männer schwand von ihren Armen, ihre Umrisse verblassten. Im nächsten Moment saß sie auf den Steinfliesen, erschöpft und vollkommen außer Atem. Lucian ging vor ihr in die Hocke – der Mann, nicht die Bestie. Als er den Arm nach ihr ausstreckte, war es seine Hand, die nach ihrer griff, keine Klaue. Das Blau war in seine Augen zurückgekehrt und seine Züge glichen nicht länger einer
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