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Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Titel: Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer
Autoren: Kai Meyer
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ihr jetzt sehr klein und unbedeutend inmitten der blauen Ozeanwüste. Der Händler war so winzig wie ein Insekt und verlor auf einen Schlag alle Bedrohlichkeit. Selbst die Geister waren aus dieser Höhe nur noch als blasse Schemen zu erkennen, vage Unscharfen über dem roten Zedernholz der Planken.
    Wenn sie sich ein wenig zur Seite streckte, konnte sie an den Überresten der Takelage des Großmastes und am Fockmast vorbei auf Munk blicken, vornübergebeugt über den Muscheln, die er mit flinken Händen wie ein Hütchenspieler über das Holz bewegte. Auch er war jetzt sehr weit entfernt - aber das war er sogar, wenn sie neben ihm stand. Er hatte sich in den letzten Tagen immer tiefer in sich selbst zurückgezogen, sprach und aß noch weniger. Die Veränderung, die sich nach dem Tod seiner Eltern gezeigt hatte, vollzog sich nun rascher und rascher, und ihr wurde ganz schwummrig bei dem Gedanken, wohin die Wandlung führen mochte. Verschwunden war der Munk, der fröhlich mit ihnen das Deck geschrubbt hatte, verschwunden auch der neugierige Junge von vor ein paar Tagen, der staunend seine erste Seeschlacht erlebte. Munk hatte einen Weg eingeschlagen, der durch tiefen Schatten führte, und sie war nicht sicher, ob am Ende wirklich das Tageslicht schien.
    Doch darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Mit den Augen folgte sie dem Flug der Möwen, die den Segler auf seinem Kurs begleiteten. Für einen Moment überkam Jolly das verwirrende Gefühl, sie könnte es ihnen gleichtun, sich einfach von der Rahe abstoßen und über die See schweben. Wer weiß, dachte sie mit bitterer Belustigung, vielleicht können Quappen viel mehr als nur über Wasser gehen? Wie sollte sie je erfahren, ob sie nicht fliegen konnte, wenn sie es nicht ausprobierte?
    Sie musste sich zwingen, den Gedanken zu verdrängen, auch wenn es nicht völlig gelang. Um sich abzulenken, schaute sie zur Palomino.
    Der Kopfgeldjäger segelte in ihrem Fahrwasser, klein wie ein Spielzeug oder eines der winzigen Schiffsmodelle, die Bannon früher manchmal auf seine Seekarten gestellt hatte, um den Verlauf von Schlachten oder Hinterhalten zu planen.
    Ja, dachte sie, es half tatsächlich, sich nach hier oben zurückzuziehen. Eine neue Perspektive, ein neuer Blickwinkel. Und das Gefühl unbändiger, absoluter Freiheit. Selbst wenn sie sich damit selbst etwas vormachte: Für den Augenblick wollte sie daran glauben, wollte sein wie die Möwen, wie der Schaum auf den Wogen, wie der Wind über der Unendlichkeit der See.
    Und dann war Griffin plötzlich neben ihr.
    Sie hatte nicht bemerkt, dass er ihr den Mast hinauf gefolgt war. Flink zog er sich vom oberen Ende der Wanten auf die gegenüberliegende Rahe des Besanmastes. Sie saßen jetzt nebeneinander, die Gesichter bugwärts gerichtet, getrennt nur vom breiten Holzstamm des Mastes.
    »Störe ich?«, fragte er.
    Sie war versucht, Ja zu sagen, aber dann durchführ es sie, dass er sie keineswegs störte, dass sie sogar dankbar war für seine Nähe. Das Gefühl war beinahe noch merkwürdiger als vorhin der Drang, sich in die Tiefe zu stürzen.
    »Nein, ich hab nur…« Sie verstummte von sich aus, aber er führte den Satz für sie zu Ende:
    »Abstand gesucht?«
    Sie lächelte. »Vielleicht. Ja.«
    Griffin nickte, als verstünde er genau, was in ihr vorging. Und, ja, dachte sie, er versteht es wirklich.
    Er bemerkte, dass sie ihn ansah, sein Profil musterte, und deutete rasch hinunter auf Munk.
    »Er macht diese Sache mit den Muscheln jetzt schon seit Tagen«, sagte er mit gesenkter Stimme. »Glaubt er tatsächlich, dass uns das irgendwie weiterhilft?«
    Jolly seufzte leise. »Immerhin tut er etwas. Wir zwei können nur hier oben rumsitzen und abwarten.«
    »Auch wahr.«
    »Vielleicht fällt ihm wirklich was ein. Ich hab selbst erlebt, wie er einen Windstoß heraufbeschworen hat.
    Wenn er sich anstrengt… ich meine, ich weiß nicht, wie so was funktioniert und ob das überhaupt möglich ist… aber wenn er sich anstrengt, kann er uns vielleicht schneller machen.« Sie schüttelte den Kopf.
    »Oder sonst was bewirken, keine Ahnung.«
    »Uns in Frösche verwandeln?«
    Sie schmunzelte. »Möchtest du das? Ein Frosch sein?«
    »Nur wenn mich eine Prinzessin findet und küsst.«
    Jolly sah zu Soledad hinunter, die mit ihren Messern Übungswürfe auf eine Zielscheibe am Mast machte. Soledad achtete nicht auf das Zetern des Holzwurms, der in seinem Zwiebelturmkäfig nur eine knappe Mannslänge unter der Scheibe saß und bei jedem
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