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Die Wanderbibel

Titel: Die Wanderbibel
Autoren: Matthias Kehle , Mario Ludwig
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Gipfel, selbst im Schwarzwald kann ein gut trainierter Wanderer zwischen Frühstück und Zähneputzen mehr Höhenmeter machen – vom Rheintal auf den Belchen sind es gar 1200 Meter, auf die Hornisgrinde immer noch 1000.
    Das Panorama oberhalb der immer noch beeindruckenden Gletscher ist spektakulär, auch wenn der Morteratschgletscher ein kümmerlicher Rest dessen ist, was Touristen noch vor einem halben Jahrhundert rund um den Piz Palü bestaunen konnten. Im Juli 2010 schmolz der Morteratschgletscher übrigens mit einer nie dagewesenen Rekordgeschwindigkeit von zwanzig Zentimetern pro Tag. Spätestens seit dem 1929 entstandenen Film »Die weiße Hölle vom Piz Palü« mit der unverwüstlichen Leni Riefenstahl und dem Jagdflieger Ernst Udet, der sich mit der zweithöchsten Zahl von Abschüssen im Ersten Weltkrieg brüsten konnte, ist dieser dreigipfelige Berg ein »deutscher Schicksalsberg«. Und prompt fragten nach dem Engadin-Urlaub mehrere alte Bekannte: »Wart ihr auf dem Piz Palü?«
    Nein, dafür waren wir auf Piz Languard, Piz Ot und Munt Pers.
    »Kennen wir nicht.«
    Der Munt Pers also stand zu Beginn der Urlaubsplanung auf unserem Programm. Wer immer nur in Österreich wandern geht, wird beeindruckt sein von der stattlichen Höhe von 3207 Metern, die man erreicht, und der Dreitausender-Sammler wird sich die Hände reiben, denn während eines Tages lassen sich bei dieser Tour sogar zwei Dreitausender sammeln, die man ins persönliche Gipfelbuch oder auf die Angeber-Website eintragen kann.
    Dieser Dreitausender für jedermann war als eine Art Verlegenheitstour vorgesehen, denn am Tag zuvor hat ten wir den Anfängerfehler schlechthin gemacht, nämlich am ersten Urlaubstag eine Hammertour unternommen. Wir hatten ja immer brav in unserem beschaulichen Nordschwarzwald trainiert, also muss ein alpiner Gewaltmarsch locker machbar sein. Wir begingen sogar den saudummen Anfängerfehler, gleich von der ersten Minute an in Höchstgeschwindigkeit loszurennen, schließlich will man wegen der immer drohenden Quellwolken deutlich vor Mittag auf dem Gipfel sein. Am Abend zuvor lagen wir um halb zehn im Bett, nachdem wir beschlossen hatten, den Munt Pers mittels »Aufstiegshilfe« zu besteigen. Weshalb sollen wir uns immer vom Tal aus auf die Berge schleppen, wo es doch Seilbahnen gibt?
    Am nächsten Morgen waren wir ausgeschlafen, in der Weißweinflasche war noch ein erklecklicher Rest. Draußen war es mild, fast schwül, dicke Nebelschwaden waberten auf halber Höhe, die eine oder andere Bergspitze war zu sehen. »Wird schon besser werden«, sagte ich, »es ist warm genug, die Sonne wird die Nebelschwaden wegbruzzeln.«
    Wir nahmen sie nicht, die Aufstiegshilfe, denn als wir am frühen Morgen auf dem Parkplatz der Talstation ankamen, war die Diavolezza-Seilbahn noch nicht in Betrieb. Der Normal- oder gar Edeltourist, der später über uns hinwegsegeln sollte, saß noch bei einem üppigen Früh stück in seinem Hotel in Sankt Moritz oder – kaum weniger feudal – Samedan oder Pontresina.
    Zwei Dreitausender wollten wir also besteigen, genauer: Auf zwei Dreitausender wollten wir wandern, von »stei gen« konnte keine Rede sein. Scheinbar unscheinbar wirkt der Sass Queder (3066 Meter), ein Berg, der in den einschlägigen Wanderführern gar nicht auftaucht, schließlich gibt es ja den viel berühmteren Nachbarn Munt Pers. Wie wir übrigens einige Tage später feststellten, ist der Sass Queder von Osten gesehen ein passabler Felsklotz, der den Eisriesen rabenschwarz vorgelagert ist. Nicht ganz so massiv wie der Munt Pers, aber immerhin ein eigenständiger Berg, markanter als sein anderer Nachbar, der beliebte Klettersteiggipfel Piz Trovat, wo gut abgehangene Papis mit Bauchansatz ihrem Filius die erste Klettersteigausrüstung umhängen, worauf diese dekorativ mit den Karabinern klimpern – auch wenn der Klettersteig als »mittelschwer« und damit gerade noch als familientauglich gilt. Opa und Oma trinken derweil auf Diavolezza ihr erstes Viertele, und Opa dreht sich das Schild seiner Kappe mit der Aufschrift »Posaunenchor Busenbach« gewagt in den Nacken und sucht den Enkel per Fernglas.
    Unser Aufstieg verlief durch zum Teil noch tiefe Altschneefelder, aber ansonsten unspektakulär, sieht man von den Ausblicken auf die Berninagruppe durch den Morgennebel ab. Dieser löste sich leider doch nicht ganz auf. Der erfahrene Bergwanderer hätte natürlich wissen müssen, dass bei diesen Temperaturen und der hohen Luftfeuchtigkeit
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