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Die Wahrheit über Marie - Roman

Die Wahrheit über Marie - Roman

Titel: Die Wahrheit über Marie - Roman
Autoren: Frankfurter Verlags-Anstalt
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unserer kleinen Bucht wahr, ohne dass es mir gleich möglich gewesen wäre, genau bestimmen zu können, worin der Unterschied im Vergleich zu den anderen Tagen zuvor bestand. Ich hockte auf den Felsen und beobachtete Marie, die am Meer entlangspazierte. Das Meer war grau, erstreckte sich weit unter dem verschleierten Himmel. Das Wasser bewegte sich kaum, war undurchsichtig, etwas beängstigend, wie dunkles Blei- oder Lavagrau in einem künstlichen Wasserbecken in der Nachbarschaft eines Atomkraftwerks. Wir schwammen in diesem dickflüssigen, warmen und öligen Meer, das unseren Körpern kaum Erfrischung brachte, ich hielt mich hinter Marie, weil sie Quallen entdeckt hatte und mit ihrer Taucherbrille vor mir herschwamm, mir einen Weg durchs Wasser vorzeichnete, damit ich den Quallen ausweichen konnte, wobei sie sich immer wieder zu mir umdrehte und mir mit dem Finger ihren jeweiligen Standort zeigte, dies mit einer unverhohlenen Freude (je näher wir der Gefahr kamen, desto fiebriger bewegte sich ihr Finger zu ihrem höchstem Vergnügen). Aus dem Wasser gestiegen, ließen wir uns auf den Felsen trocknen und schauten auf das graue Meer hinaus, das vor uns in dieser Endzeitstimmung hinplätscherte. Es war drückend schwül, die ganze Atmosphäre stickig, man spürte die Nervosität der Insekten, die auf unserer Haut festklebten. Es gibt solche Tage gegen Ende des Sommers, an denen die Hitze von morgens bis abends wie statisch auf dem Körper lastet und ihn wie ein Mantel umschließt und den Geist in eine trübe Starre versetzt, und ich kam schließlich zu der Erkenntnis, dass das, was die Bucht heute für mich so fremd erscheinen ließ, nur dadurch zu erklären war, dass es weit und breit in der Landschaft kein Blau mehr zu sehen gab. Als hätte einer mit einem Bildbearbeitungsprogramm, mit dem eine Farbe komplett entfernt werden kann, das Blau vollständig aus der Landschaft getilgt, ohne die übrige Farbpalette in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Das Blau war verschwunden, das gewohnte Blau, das strahlende Blau, das blendend helle Blau des Himmels und des Meeres, das endemische Blau des Mittelmeers hatte sich aus der Natur verabschiedet. Überall nur weiße, wolkige, mit Licht gesättigte Hitzeschleier. Nicht der geringste Wind regte sich, kein Lufthauch, nichts, nicht die leichteste Brise, die eine Binse in der Bucht sich sanft hätte wiegen lassen – als wollte der Wind seine Kräfte für den Sturm sammeln, der in dieser Nacht losbrechen würde.
    In dieser Nacht erschien Marie etwa gegen vier Uhr morgens in meinem Schlafzimmer, sie riss brutal die Tür auf und trat barfuß und im T-Shirt ein, verwirrt und aufgeregt kam sie zu mir ans Bett und erklärte mir, dass es im Garten Rauch gebe, dass es vor dem Anwesen brenne. Ich streifte mir eilig eine Hose über und folgte ihr auf die Terrasse, wo wir in einem Gestöber aus Staub durch die Nacht irrten. Heftige Windböen hatten bereits die schwarzen eisernen Esstischstühle umgeworfen, sie zum Teil bis auf die Auffahrt hinausgeblasen. Die Leinenbezüge der Liegestühle flatterten mit lautem, scharfem Knallen im Wind. Ich rannte ums Haus herum und versuchte herauszufinden, woher das Feuer kam, sah aber nichts, die Nacht war schwarz und windig und undurchdringlich, die Bäume gruben sich in die Finsternis und bogen sich im Gleichklang mit den sich windenden Ästen und wirbelnden Blättern. Auf der Terrasse war jetzt Rauch zu erkennen, ein paar leichte und ganz feine, vom Wind herbeigetragene Schwaden, die schwebend durch die Luft irrten. Ich beeilte mich, die Gasflaschen hinten im Garten abzudrehen, und half dann Marie, den Gartenschlauch auszurollen, ihn ganz in die Länge zu ziehen, hinüber zu den Fenstern, um das Haus zu verteidigen. Marie rannte auf der Terrasse von einem Fensterladen zum nächsten, um ihn zu schließen. Sie hatte den Schlauch genommen und ging um das Haus herum, spritzte Wasser auf die Hausmauer in der Nacht, spritzte lange auf die Fensterläden, damit sie gut mit Wasser getränkt wurden, zog heftig an ihrem Schlauch, wenn der sich irgendwo auf dem Boden hinter ihr verhakt oder Knicke bekommen hatte. Schließlich richtete sie den Wasserstrahl noch auf das erste Stockwerk, und das Haus troff unter dem Guss. Wasserschlieren liefen überall an der Hausfassade herunter, und das abgeblätterte Holz der Fensterläden schimmerte nass in der Nacht.
    Wir wussten nicht, aus welcher Richtung das Feuer kam, ob es sich dem Anwesen näherte oder sich davon
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