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Die Wahrheit über Marie - Roman

Die Wahrheit über Marie - Roman

Titel: Die Wahrheit über Marie - Roman
Autoren: Frankfurter Verlags-Anstalt
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Augenblick umschlungen in der Küche stehen, an den Herd gelehnt, gewiegt durch das delikate Geräusch, das die Tomatensauce von sich gab, die mit wallenden Blasen weiter auf dem Feuer köchelte. Es war nur ein einfacher Augenblick spontaner Zärtlichkeit, aber ich begriff, dass wir seit unserer Trennung vielleicht nie so sehr vereint waren.
    Nach dem Abendessen ging ich wieder in mein Schlafzimmer, ich öffnete das Fenster, um etwas von der kühlen Luft hereinzulassen, die selten genug die heißen Nächte Elbas durchzieht. Ich legte mich auf mein Bett und blieb im Dunkeln liegen, ich hatte kein Licht angemacht, um keine Mücken anzulocken. Seit meiner ersten Nacht, die ich in diesem Zimmer verbracht hatte, war mir die Anwesenheit Maries eine Etage über mir quälend bewusst, ich wusste, dass sie da war, genau über mir, und ich hörte, wie sie im Zimmer hin und her ging, und ich wusste, was sie tat, alles in Echtzeit, ich hörte das Knarren des Parketts unter ihren Schritten und wusste, dass sie gerade von ihrem Bett zu ihrem großen Eichenschrank ging, ich hörte das kaum wahrnehmbare Geräusch des Türflügels des Schranks, wenn sie ihn öffnete, und erriet, dass sie ein T-Shirt für die Nacht auswählte, und ich hätte auch dessen Farbe sagen können, den Geruch, die Textur. Manchmal entfernten sich die Schritte über mir auf dem Fußboden, dann hörte man laufendes Wasser aus dem Badezimmer, Wasserhähne, die beim Auf- und Zudrehen dem Leitungssystem des Hauses kreischend quälende Geräusche entlockten, dann kehrten die Schritte wieder zum Schlafzimmer zurück. Ich hörte, wie sich Marie ins Bett legte, und nach einem kurzen Moment, ich musste die Augen schließen, um mich besser konzentrieren zu können, hörte ich endlich, wie sie einschlief. Das hatte nichts Physikalisches oder Materielles, ich hörte nicht den winzigsten Seufzer, den sie manchmal im Schlaf von sich gab, ebenso wenig wie ich die heftigen Stürme der Laken hörte, die sie etwa um drei Uhr morgens entfachte, wenn sie mit aller Kraft an einem Ende des festhängenden Lakens zog, sich mit der Schulter darin einrollte und sich dann zur Seite drehte, aber ich nahm das Geplätscher ihrer Träume wahr, das durch ihren Geist strömte. Oder war es nicht doch mein eigener Geist, in dem jetzt die Träume Maries dahinflossen, so als wenn dadurch, dass ich an sie dachte, dass ich ihre Anwesenheit heraufbeschwor, dadurch, dass ich ihr Leben stellvertretend lebte, ich dazu gekommen war, mir nächtens vorzustellen, dass ich ihre Träume träumte.
    Ich kannte die Stille in jedem Winkel des Hauses, sein nächtliches Knacksen, die abrupten Einsetzer des Kühlschranks in der Nacht, denen ein abgestufter, ermatteter Schluckauf folgte und die besänftigte Rückkehr zu einem regelmäßigen Schnurren in der dunklen Stille des schlafenden Hauses. Am Morgen erwachte ich mit dem ersten Licht, blieb aber noch im Bett liegen, um dem frühen Gezwitscher der Vögel zu lauschen, das so federleicht klang, dass ihre fließenden Modulationen mit der Stille ringsherum verschmolzen. Das Haus lag noch in tiefem Schlaf, ich war allein mit Marie in diesem großen, leeren Haus, wir schliefen auf verschiedenen Etagen, die anderen Zimmer waren unbenutzt oder standen leer, das Arbeitszimmer ihres Vaters war ausgeräumt, die Umzugskisten bereit, aus dem Haus geschafft zu werden. Nicht ein Geräusch war im schläfrigen Haus zu hören, ich spitzte meine Ohren, aber da war nichts, kein Knarren, nicht einmal ein Rascheln, Marie hatte sich noch nicht in ihrem Bett gerührt, ich wusste, sie schlief über mir, und diese Entfernung, die uns trennte, diese eine Etage, die zwischen uns lag, dieses winzige Hindernis war der subtile Stachel, der sie mir umso begehrenswerter erscheinen ließ. Statt einfach die Hand auszustrecken, um sie beim Aufwachen sanft am Arm zu streicheln, musste ich mir ihre Anwesenheit oben eine Etage höher vorstellen, sie in meinem Geist erschaffen. So, hinter meinen geschlossenen Augen, nahm sie schrittweise Gestalt an, löste sich langsam aus ihrer Verpuppung und erschien in meinem Geist, wie sie mit geschlossenen Augen in ihrem Bett lag, den Mund geöffnet, ihre Brust hob und füllte sich in steter Regelmäßigkeit, im friedlichen Rhythmus ihrer Atmung, ein Bein steckte unter der Decke, das andere ragte nackt nach draußen, das Laken klemmte eingerollt zwischen ihren Schenkeln.
    Eines Nachmittags, wir waren schwimmen gegangen, nahm ich plötzlich eine fremdartige Luft in
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