Die Wahrheit der technischen Welt: Essays zur Genealogie der Gegenwart (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)

Körperlichkeit der einzelnen Körperteile nämlich, die sich in immer neuer Weise verschalten lassen.
    ›Selbstentbergung des Seins‹, wie sie sich möglicherweise in der elektronischen Technik ereignet und von Kittlers Werk freigelegt wird, läuft nicht auf eine ›Darstellung‹, einen ›Diskurs‹ oder auf Entstehung eines neuen ›Paradigmas‹ hinaus. Eher rückt sie Phänomene der Welt als substantielle und singuläre Phänomene in unsere Reichweite und provoziert so das Dasein zum Reagieren. Dadurch genau werden Friedrich Kittlers Essays zu einer Genealogie unserer Gegenwart, daß sie Momente einer »Lichtung« jetzt und für uns ermöglichen. Niemand scheint in dieser von Martin Heidegger eröffneten Richtung des Denkens weiter gegangen zu sein als Kittler, der am Ort jener Einstellung zur Technik der Gegenwart und ihrer Vergangenheit ankam, die dem Philosophen der Seinsgeschichte hatte verschlossen bleiben müssen – zumal im Verhältnis zur Elektronik. Dieser Ort »ruft nach einem Denken, das die Bahnen der Technik in ihrer Gänze durchmißt: von ihrem Anfang, nämlich dem griechischen Begriff ›techne‹ bis zu ihrer Vollendung im modernen Computersystem« (S. 386). Kittlers Wahrheit, die durch ihn entstandene Lichtung offenzuhalten und »in die Acht zu nehmen«, kommt denen zu, die Friedrich überlebt haben – und den Generationen, die auf uns folgen werden. Seinsgeschichtlich gesehen, können wir uns nicht leisten, ihn zu vergessen. Dies war die Ahnung, die sich »anschrieb« in der Intensität der Reaktionen auf Friedrich Kittlers Tod im Oktober 2011 – und sie sollte nun alsEinsicht das von seinem Werk ausgehende Denken für die Zukunft am Leben halten.

Textnachweise
    »Der Dichter, die Mutter, das Kind. Zur romantischen Erfindung der Sexualität«.
    Erstmals erschienen in: Romantik in Deutschland, Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte , Sonderband, hg. v. Richard Brinkmann, Stuttgart: Metzler 1978, S. 102-114. © 1978 J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag in Stuttgart.
    »Nietzsche (1844-1900)«
    Erstmals erschienen in: Klassiker der Literaturtheorie. Von Boileau bis Barthes , hg. v. Horst Turk, München: C. H. Beck 1979, S. 191-205. Mit freundlicher Genehmigung des C. H. Beck Verlags.
    »Lullaby of Birdland«
    Erweiterter Nachdruck in: Dichter – Mutter – Kind. Deutsche Literatur im Familiensystem 1760-1820 , München: Wilhelm Fink 1991, S. 103-118. Mit freundlicher Genehmigung des Wilhelm Fink Verlags.
    [Erstmals erschienen in: Der Wunderblock. Zeitschrift für Psychoanalyse , Heft 3, Berlin: Der Wunderblock 1979, S. 2-16.]
    »Der Gott der Ohren«
    Erweiterter Nachdruck in: Das Schwinden der Sinne , hg. v. Dietmar Kamper, Christoph Wulf, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1984, S. 140-155.
    [Erstmals erschienen in: europaLyrik 1775-heute. Gedichte und Interpretationen , hg. v. Klaus Lindemann, Paderborn: Schöningh 1982, S. 467-477.]
    »Flechsig/Schreber/Freud. Ein Nachrichtennetzwerk der Jahrhundertwende«
    Erstmals erschienen in: Der Wunderblock. Zeitschrift für Psychoanalyse , Heft 11/12, Berlin: Der Wunderblock 1984, S. 56-68.
    »Romantik – Psychoanalyse – Film: Eine Doppelgängergeschichte«
    Erstmals erschienen in: Eingebildete Texte. Affairen zwischen Psychoanalyse und Literaturwissenschaft , hg. v. Jochen Hörisch, Georg Christoph Tholen, München: Wilhelm Fink 1985, S. 118-135. Mit freundlicher Genehmigung des Wilhelm Fink Verlags.
    »Medien und Drogen in Pynchons Zweitem Weltkrieg«
    Nachdruck in: Die unvollendete Vernunft: Moderne versus Postmoderne , hg.v. Dietmar Kamper, Willem von Reijen, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1987, S. 240-259.
    [Erstmals erschienen in: Narrativitãt in den Medien , hg. v. Rolf Kloepfer, Karl-Dietmar Mueller, Münster: MAkS Publikationen 1985, S. 231-252.]
    »›Heinrich von Ofterdingen‹ als Nachrichtenfluß«
    Erstmals erschienen in: Novalis. Beiträge zu Werk und Persönlichkeit Friedrich von Hardenbergs , hg. von Gerhard Schulz, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1986 (Wege der Forschung, Bd. 248) (2. Aufl.), S. 480-508.
    »Weltatem. Über Wagners Medientechnologie«
    Erstmals erschienen in: Diskursanalysen 1, hg. von Friedrich A. Kittler, Manfred Schneider, Samuel Weber, Opladen: Westdeutscher Verlag 1986, S. 94-107. Mit freundlicher Genehmigung des VS Verlags für Sozialwissenschaften.
    »Die Stadt ist ein Medium«
    Nachdruck in: Mythos Metropole , hg.