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Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Titel: Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook
Autoren: Elif Shafak
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Bewerbung losgeschickt, und wenn doch, dann hatten die möglichen Arbeitgeber immer eine jüngere Kraft oder jemanden mit mehr Erfahrung gesucht. Und aus Angst, immer wieder abgelehnt zu werden, hatte sie damit irgendwann für sich abgeschlossen.
    Durch welches Hindernis auch immer ihre Jobsuche jahrelang blockiert gewesen war, im Mai 2008 war es verschwunden. Zwei Wochen vor ihrem vierzigsten Geburtstag arbeitete sie von einem Tag auf den anderen für eine in Boston ansässige Literaturagentur. Den Job hatte David aufgetan, über einen seiner Patienten – oder eine seiner Geliebten.
    »Ach, das ist keine große Sache«, entgegnete Ella jetzt hastig. »Nur ein Halbtagsjob – Gutachen für eine Literaturagentur schreiben.«
    Doch David lag offenbar viel daran, dass sie ihren neuen Job nicht kleinredete. »Jetzt sag schon, dass es eine sehr bekannte Agentur ist«, drängte er und knuffte sie, und als sie weiterhin schwieg, stimmte er sich selbst lautstark zu. »Das ist ein ganz renommiertes Unternehmen, Esther. Du solltest mal die anderen Mitarbeiter sehen – Jungs und Mädels frisch von den besten Colleges! Ella ist da die Einzige, die nach jahrelangem Hausfrauendasein ins Berufsleben zurückkehrt. Nicht schlecht, oder?«
    Ella überlegte, ob ihr Mann sich womöglich schuldig fühlte, weil sie seinetwegen keine Karriere gemacht hatte – oder aber, weil er sie betrog. Andere Gründe für seine übertriebene Begeisterung fielen ihr nicht ein.
    Immer noch lächelnd beendete David seine Ausführungen mit den Worten: »So was nenn ich Chuzpe – wir sind richtig stolz auf sie!«
    »Sie war einfach immer schon ein Goldstück«, sagte Tante Esther in so sentimentalem Ton, als säße Ella längst gar nicht mehr mit am Tisch.
    Liebevoll richteten sich alle Blick auf sie. Selbst Avi verzichtete auf eine zynische Bemerkung, und Orly schien ausnahmsweise einmal etwas anderes als ihr Äußeres wichtig zu nehmen. Ella zwang sich dazu, diesen Moment allgemeinen Wohlwollens zu genießen, empfand dabei aber eine erdrückende Erschöpfung, wie sie sie noch nie zuvor erlebt hatte, und betete innerlich, jemand möge das Thema wechseln.
    Jeannette musste das heimliche Stoßgebet gehört haben, denn sie sagte plötzlich: »Ich habe auch eine gute Nachricht.«
    Neugierig wandten sich ihr alle Blicke zu.
    »Scott und ich haben beschlossen zu heiraten«, verkündete Jeannette. »Ja, ja, ich kann mir schon denken, was ihr davon haltet. Dass wir noch nicht mit dem College fertig sind und so weiter. Aber wir sind jetzt einfach beide bereit für den nächsten großen Schritt.«
    Peinliche Stille senkte sich über den Küchentisch, und mit einem Mal war die Herzlichkeit, die eben noch zwischen allen geherrscht hatte, verpufft. Orly und Avi sahen einander verdutzt an, und Tante Esther erstarrte, in der Hand ein Glas Apfelsaft. David legte die Gabel nieder, als wäre ihm der Appetit vergangen, und richtete die hellbraunen, von tiefen Lachfalten gesäumten Augen fragend auf Jeannette. Nach Lachen schien ihm jetzt allerdings nicht zumute zu sein. Er verzog den Mund, als hätte er gerade einen ordentlichen Schluck Essig getrunken.
    »Na toll! Ich dachte, ihr freut euch, und dann verpasst ihr mir eine kalte Dusche!«, maulte Jeannette.
    »Du hast gerade gesagt, du willst heiraten«, erklärte David, als wüsste Jeannette nicht, was sie gesagt hatte, und müsste ins Bild gesetzt werden.
    »Ich weiß, dass es ein bisschen früh ist, Dad, aber Scott hat mir vor ein paar Tagen einen Antrag gemacht, und ich habe schon ja gesagt.«
    »Aber warum nur?«, fragte Ella.
    Dem Blick, den Jeannette ihr zuwarf, konnte Ella entnehmen, dass ihre Tochter alles, nur nicht diese Frage erwartet hatte. Dass ihr ein »Wann denn?« oder »Und wie?« lieber gewesen wäre, denn das hätte bedeutet, sie könnte sich auf die Suche nach einem Brautkleid machen. Bei einem »Warum nur?« lagen die Dinge dagegen völlig anders, und das hatte Jeannette völlig unvorbereitet erwischt.
    »Vielleicht weil ich ihn liebe?«, sagte sie in leicht herablassendem Ton.
    »Ich meinte, warum es unbedingt so schnell gehen muss, Schatz«, erwiderte Ella. »Bist du schwanger?«
    Tante Esther zuckte peinlich berührt zusammen und machte ein strenges Gesicht. Dann fischte sie eine Tablette gegen Sodbrennen aus ihrer Tasche und begann darauf herumzukauen.
    »Ich werde Onkel!«, warf Avi kichernd ein.
    Ella nahm Jeannettes Hand und drückte sie sanft. »Du kannst uns immer alles sagen, das weißt du
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