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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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viele hübsche kleine Knirpse auf einem Fleck gesehen. Weiter meinte sie: »Jetzt mache ich mit meinen Preisrichterkollegen die Runde, und beim zweiten Durchgang erhalten die fünf Endrundenteilnehmer Rosetten.«
    Die Idee mit den Rosetten rief Gelächter hervor. Dieser plötzlich einsetzende Lärm brachte die Babys zum Schweigen. Estelle stand mit Mary und Tim an einem der Zeltausgänge und betete, daß eine leichte Brise aufkommen und Irene das Unbekannte in den Schoß fallen möge. Mary hielt die Augen geschlossen. Sie fühlte sich plötzlich traurig und wütend. Sie wollte den Wettbewerb überhaupt nicht mehr.
    Die Preisrichter schenkten Pearl kaum Beachtung. Nach einem kurzen Blick setzten sie ihren Weg fort, und Irene, die geduldig auf ihrem Stuhl wartete, bekam nichts weiter ab alseinen Hauch französischen Parfüms, als Lady Elliot vorbeiging.
    Siegerin des Wettbewerbs wurde eine Mrs. Nora Flynn. Das Unbekannte erwies sich als ein Korb und ein Pflanzenheber, und Mrs. Nora Flynn legte ihr Baby Sally Mahonia in den Korb, als wäre es ein preisgekrönter Kohlkopf.
    Auf der Heimfahrt im Ponywagen machte Irene einen so zufriedenen Eindruck, als hätte es diesen Tag überhaupt nicht gegeben. Timmy war schweigsam und blaß von dem unwirklichen Nachmittag, an dem er hin und her gestoßen worden war und nur alles verschwommen wahrgenommen hatte. Estelle bemerkte bitter, daß man einen Korb und eine Kelle nicht als »unbekannt« bezeichnen könne, und ließ das Pony in einem langsamen, enttäuschten Schritt gehen.
    Mary sagte: »Ich habe nicht geklatscht, als diese Sally Mahonia gewonnen hat. Ich habe überhaupt nicht geklatscht.« Und dann schlief sie in Irenes Schoß ein, müde vom Kratzen, Kuchenessen und Wünschen, daß Pearl das schönste Baby von Swaithey würde.
    Pearl aber dachte an nichts und schlief leise schnarchend neben ihr auf den Gerstesäcken.
Mary:
    Meine Erinnerung reicht weit zurück, fast bis zu meiner Geburt.
    Ich weiß noch, wie ich im Bett meiner Eltern lag, zwischen ihnen eingezwängt. Es war ein Eisenbett mit einer Kuhle in der Mitte. Sie legten mich in diese Kuhle, und durch die Schwerkraft rutschten sie auf mich, so daß ich eingekeilt wurde.
    Unser Ackerboden war voller Steine. Sobald ich laufen konnte, bekam ich einen Eimer mit einem Seestern darauf und mußte Steine auflesen. Mein Vater ging mit einem großen Eimer vor mir her, der bald so schwer wurde, daß er ihnkaum noch tragen konnte. Ich glaube, er dachte ständig an Steine und wollte, daß ich es ihm gleichtat. Er erwartete von mir, daß ich meinen Seesterneimer stets bei mir trug und mich in Gedanken immer mit den Steinen beschäftigte.
    Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich mich einmal auf einem flachen Feld verlaufen habe. Es war Winter, und die Dunkelheit brach herein, hüllte mich ein und verschluckte meine Stimme. Das einzige, was ich noch sah, war mein Eimer, auf dem ein kleiner Widerschein lag, und das einzige, was ich noch hörte, war der Wind in den Tannen. Ich lief dem Wind entgegen und rief nach meinem Vater. Ich ging direkt auf die raunenden und seufzenden Bäume zu, legte die Arme um einen der kratzigen Tannenstämme, blieb so stehen und wartete. Ich dachte, daß vielleicht Christus mit einer Laterne in der Hand durch den Wald kommen würde.
    Meine Eltern suchten mich mit Taschenlampen und fanden mich schließlich. Meine Mutter schluchzte. Mein Vater hob mich hoch und wickelte mich in seinen alten Mantel, der nach Saatgut roch. Er sagte: »Mary, warum bist du nicht geblieben, wo du warst?« Ich antwortete: »Ich habe meinen Eimer auf dem Feld verloren.« Mein Vater erwiderte daraufhin: »Mach dir keine Sorgen um den Eimer. Nur du bist wichtig.«
    Doch als ich drei Jahre alt war, war nicht mehr nur ich wichtig. Tim kam auf die Welt, und mein Vater sagte immer wieder, Timmys Ankunft sei ein Wunder. Ich fragte meine Mutter, ob meine auch ein Wunder gewesen war, und sie antwortete: »Ach, so sind Männer nun mal, besonders Bauern. Kümmere dich nicht darum!«
    Doch nach Timmys Geburt wurde alles anders. Meine Mutter und mein Vater legten im Bett nun ihn zwischen sich in die Kuhle und rollten auf ihn. Als ich das sah, warnte ich sie. Ich sagte, ich würde Timmy tottrampeln und seinen Bauch durch die Mangel drehen. So kam mein Vater allmählich zu der Überzeugung, daß ich böse sei. Wenn ich zu ihmging und ihm etwas erzählte, meinte er: »Sag mir nichts, Mary. Ich will nichts hören.« Bald sprach ich überhaupt nicht
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