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Die Versuchung

Die Versuchung

Titel: Die Versuchung
Autoren: David Baldacci
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aufbewahren.
    LuAnn kämmte ihr dichtes kastanienfarbenes Haar zurück, versuchte es zu einem Knoten zu binden und flocht es dann zu einem kunstvollen Zopf. Da ihr weder das eine noch das andere gefiel, türmte sie ihre Haarpracht zu einer Hochfrisur auf und steckte sie mit zahllosen Nadeln fest. Dabei drehte sie mehrmals den Kopf, um ihr Werk zu betrachten. Da LuAnn eins fünfundsiebzig groß war, mußte sie sich bücken, um sich im Spiegel sehen zu können.
    Alle paar Sekunden schaute sie zu dem kleinen Bündel auf dem Stuhl neben ihr. Sie lächelte, als sie die winzigen schläfrigen Augen, die gespitzten Lippen, die Pausbäckchen und die kleinen Fäuste betrachtete. Ihre Tochter war acht Monate alt und wuchs schnell. Sie war bereits im Krabbelalter und hatte schon die ersten, schwankenden Schritte eines Kleinkindes gemacht – einer vor, zwei zurück. Bald würde sie laufen können.
    LuAnns Lächeln schwand, als sie sich umschaute. Lange würde Lisa nicht brauchen, um die Grenzen dieser Behausung zu erkunden. Trotz LuAnns sorgfältigem Bemühen, alles sauberzuhalten, glich das Innere des Wohnwagens dank der Wutausbrüche des Mannes, der ausgestreckt auf dem Bett lag, sehr der Umgebung draußen. Duane Harvey war um vier Uhr morgens durch die Tür getaumelt, hatte sich ausgezogen und aufs Bett geworfen. Nun lag er regungslos dort, zuckte und grunzte nur hin und wieder.
    LuAnn dachte sehnsüchtig an einen Abend zurück, als ihre Beziehung noch ziemlich neu und aufregend gewesen war. Damals war Duane nicht betrunken heimgekommen. Lisa war das Ergebnis. Für einen Moment glitzerten Tränen in LuAnns hellen Augen. Sie hatte weder Zeit noch Mitleid für Tränen, vor allem nicht für ihre eigenen. Mit zwanzig Jahren, ging es ihr durch den Kopf, habe ich schon so viele Tränen vergossen, daß es für den Rest meines Lebens reichen müßte.
    Sie wandte sich wieder dem Spiegel zu. Mit einer Hand spielte sie mit Lisas winziger Faust, mit der anderen zog sie sämtliche Haarnadeln heraus. Sie strich sich die Haare zurück und ließ den Pony lose über die hohe Stirn fallen. So hatte sie das Haar in der Schule getragen, jedenfalls in der siebten Klasse, als sie wie viele ihrer Klassenkameraden von der Schule abgegangen war, um auf dem Land bezahlte Arbeit zu suchen. Sie alle hatten geglaubt – fälschlicherweise, wie sich herausstellte –, eine volle Lohntüte sei bei weitem besser, als einen Tag länger in der Schule herumzusitzen. Doch LuAnn hatte kaum eine andere Wahl gehabt. Mit der Hälfte ihres Lohnes half sie ihren chronisch arbeitslosen Eltern. Die andere Hälfte ging für Dinge drauf, die die Eltern ihr nicht geben konnten: Essen und Kleidung.
    Sie behielt Duane vorsichtig im Auge, als sie ihren abgetragenen Bademantel öffnete und den nackten Körper entblößte. Da Duane kein Lebenszeichen von sich gab, zog sie rasch die Unterwäsche an. Als LuAnne herangewachsen war, hatten die Jungen in der Gegend sich förmlich die Augen nach ihrem aufblühenden Körper ausgeguckt und sich danach gesehnt, richtige Männer zu sein, noch ehe die natürliche Ordnung der Dinge ihnen offiziell den Eintritt in die Welt des Sex gestattete.
    LuAnn Tyler, zukünftiger Filmstar oder Supermodel. Viele Einwohner im Rikersville County, Georgia, hatten sich eingehend mit dem Thema LuAnn beschäftigt und ihr das volle Gewicht dieser Titel aufgebürdet, die zu den höchsten Erwartungen Anlaß gaben. Lange würde dieses Mädchen nicht wie alle anderen hier leben, das sei klar zu sehen, verkündeten die fetten, faltengesichtigen Frauen, die auf den breiten, verfallenen Veranden ihrer Häuser über LuAnn zu Gericht saßen, und niemand widersprach ihnen. LuAnns natürliche Schönheit würde ihr nichts Geringeres einbringen als den glänzendsten aller Blechorden. Für die Leute in der Gegend war sie eine strahlende Hoffnung. New York, oder vielleicht Los Angeles, würde »ihre« LuAnn rufen. Es war nur eine Frage der Zeit.
    Doch sie war immer noch hier, immer noch in demselben County, in dem sie ihr ganzes Leben verbracht hatte. Irgendwie war sie eine Enttäuschung – wenngleich sie vor kurzem noch ein Teenager gewesen war –, obwohl sie nie eine Chance gehabt hatte, eines ihrer Ziele zu verwirklichen. Sie wußte, daß die Leute in der Stadt überrascht gewesen wären, hätten sie gewußt, daß LuAnns Ehrgeiz nicht darauf zielte, nackt im Bett neben Hollywoods »Mann des Monats« zu liegen oder einem schaulustigen Publikum die neuesten Kreationen
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