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Die Versuchung

Die Versuchung

Titel: Die Versuchung
Autoren: Jemima Montgomery
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Hotelzimmer. Sie blickte aus dem Fenster und sah, wie zwei Reisekutschen fast gleichzeitig vor dem Portal hielten. Aus der ersten sprang ein großer kräftiger Mann, der zum Gruß kurz zwei Finger an seine Reisemütze legte und augenblicklich verschwand. Der Diener folgte seinem Herrn eilig in das Hotel. Von Neuem war das Knallen von Peitschen und das Trappeln von Hufen zu hören, und eine zweite größere Kutsche traf ein. Aus ihr  stieg ein langer magerer Herr mit grauem Mantel, grauem Hut, grauer Hose, grauen Gamaschen und grauem Backenbart – offensichtlich ein Engländer. Eine ältere Dame, deren Gesicht durch einen Hut mit Spitzenschleier halb verdeckt war, folgte ihm. Auch zwei junge Mädchen entstiegen dem Wagen.
    Isabelle blickte zur Uhr. Alexander würde sicher bald zurück sein. Sie verließ daher ihr Zimmer und ging die Treppe hinab zur Eingangshalle, in der aber so viele Reisende und Diener einander im Wege standen, dass sie sich in das große Speisezimmer flüchtete, das um diese Zeit normalerweise leer war. Nur ein Herr saß noch an einem der langen Tische. Isabelle trat an das große Fenster, ohne ihn zu beachten. Als ein Kellner mit Obst und Konfekt eintrat, sagte der Gast etwas ungeduldig: „Hat mein Diener noch nicht gegessen? Sagen Sie ihm, dass er sich beeilen soll – er weiß, dass wir wenig Zeit haben.“
    Seine Stimme kam Isabelle bekannt vor. Sie drehte sich um und wurde sofort von Graf Zedwitz erkannt, der erstaunt ausrief: „Mademoiselle Rosenberg, was in aller Welt hat Sie nach Frankfurt geführt?“
    „Ich bin hier, um meine Stelle als Gouvernante bei der Baronin Walldorf anzutreten. Allerdings ist sie leider nach Mainz abgereist und ...“
    „Bei der Baronin Walldorf? Wie seltsam … Sind Sie etwa allein hier? Ich würde natürlich bleiben, wenn ich könnte, aber das ist unmöglich. Ich weiß nicht, ob Sie gehört haben, dass mein Vater im Sterben liegt. Es besteht keine Hoffnung auf seine Genesung und ich muss mich beeilen, um ihn noch lebend zu sehen.“
    In diesem Moment trat der Diener ein und meldete, dass der Wagen bereit sei.
    „Danke – du kannst gehen. Isabelle … ich wollte sagen, Mademoiselle Rosenberg … bleiben Sie nicht hier … gehen Sie nicht zu Ida Walldorf … glauben Sie mir, dass Sie bei ihr sehr unglücklich werden würden.“
    „Fangen Sie nicht auch noch damit an … Wie kommen Sie darauf, dass ich unglücklich sein würde? Ich habe mich lange darauf vorbereitet, Gouvernante zu werden.“
    „Entschuldigen Sie, dass ich Sie ausfrage“, sagte Zedwitz schnell, „aber darf ich fragen, wie Sie die Bekanntschaft der Baronin gemacht haben?“
    „Ich kenne sie gar nicht, ich habe sie noch nie gesehen. Mademoiselle Hortense, eine Lehrerin meines Internats, hat erfahren, dass sie eine Gouvernante sucht.“
    „Kennt die Baronin Ihren Namen?“, fragte Zedwitz.
    „Das weiß ich nicht“, antwortete Isabelle überrascht. „Ich denke doch, dass Mademoiselle Hortense ihr alles Nötige über mich mitgeteilt hat. Aber da sie mit meinem Namen sicher nichts weiter anfangen kann ...“
    „Vielleicht irren Sie sich … Ich fürchte, dass die Baronin … nicht so schnell zurückkehren wird.“
    „Aber ihr Diener sagte, dass sie selten lange weg bleibt“, bemerkte Isabelle.
    „Sie hätte überhaupt nicht abreisen dürfen, wenn sie Sie erwartet“, rief Zedwitz ungewohnt heftig.
    „Ich war auch sehr überrascht. Aber vielleicht hat sie Mademoiselle Hortenses Brief nicht rechtzeitig erhalten ...“
    „Ich bin sicher, dass sie ihn rechtzeitig erhalten hat … Mademoiselle Rosenberg, bleiben Sie nicht länger hier … kehren Sie zu Ihrer Familie zurück … kommen Sie mit mir nach München!“
    Isabelle errötete.
    „Ich werde meinen Diener mit der Kutsche schicken“, fügte er schnell hinzu, „und Sie können mit der Postkutsche reisen oder wie Sie es wünschen.“
    „Sie sind sehr freundlich“, sagte Isabelle, „aber ich gehe davon aus, dass die Baronin Walldorf mich engagiert hat und solange ich nichts von ihr gehört habe ...“
    „Sie werden nichts von ihr hören … Sie wird Ihnen nicht schreiben“, rief Zedwitz ungeduldig. „Ich kann nicht länger hier bleiben … ich kann meine Heimkehr unmöglich verzögern.“
    Isabelle wollte ihm von Hamilton erzählen, aber sie fand keine Worte, und ihre Verwirrung wuchs von Minute zu Minute.
    Die Tür wurde geöffnet, es kamen Bedienstete herein, und Zedwitz fügte leise hinzu: „Gott verzeihe mir, dass ich in
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