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Die Vergessenen. Thriller (German Edition)

Die Vergessenen. Thriller (German Edition)

Titel: Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
Autoren: Mike Wächter
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ist ein Befehl.«
    Er erhebt sich und spürt, wie die Kopfschmerzen zurückkommen. Wenn er selbst nur jemanden über sich hätte, der ihm befehlen würde, zur Ruhe zu kommen. Stattdessen wird er sich die ganze Nacht im Bett herumwälzen und über den Mörder nachdenken. Das Phantom vom Odenwald.

3.
    Sonntag, 5. Februar 1933
    Mannheim
     
    In den Straßen der Neckarstadt wuselten die Menschen bereits seit den frühen Morgenstunden wie ein aufgescheuchter Ameisenhaufen umher. Für den heutigen Nachmittag hatten die Nationalsozialisten den »Marsch zur Eroberung Mannheims« angekündigt, womit sie eigentlich den »Marsch zur Eroberung der Roten Neckarstadt« meinten.
    Die Aktion sollte in wenigen Minuten mit einer Kundgebung auf dem Messplatz beginnen. Die NSDAP hatte im Vorfeld zur Beflaggung des Stadtteils aufgerufen und kostenlose Hakenkreuzfahnen zur Verfügung gestellt. Doch zwischen einem Meer schwarz-rot-goldener und roter Fahnen gingen die drei Naziflaggen, die gehisst worden waren, unbeachtet unter. An Straßenecken bildeten Arbeiter große Menschentrauben und diskutierten. Wie würde man vorgehen,
    wenn die Braunhemden einmarschierten?
    Zwischen all den Menschen lief ein Kind an der Hand seines Vaters und beobachtete das aufgeregte Treiben. Walter war gerade sieben Jahre alt geworden und besuchte die zweite Klasse der Volksschule. Als er stehen blieb und mühsam auf einem Transparent Tod dem Faschismus zu entziffern versuchte, wurde er von seinem Vater unsanft weitergezogen. Dieser blieb erst wieder stehen, als sie die Tür ihres Hauses erreichten.
    »Aber ich will noch nicht nach Hause«, protestierte Walter. »Kann ich nicht noch ein bisschen draußen bleiben?«
    »Für das, was hier heute los ist«, sagte der Vater, »bist du noch zu klein.«
    Er brachte Walter in die Wohnung und gab ihn in die Obhut seiner Mutter. Aus einer Kommode nahm er ein schmales Messer, das er sich in die Hosentasche steckte. Die Mutter stand neben Walter und sah ihren Mann wortlos an. Als dieser ihren Blick bemerkte, sagte er nur: »Es wird schon nichts Schlimmes passieren.«
    Dann trat er durch die Tür auf den Hausflur und drehte sich im Hinausgehen noch einmal um. Er sah seinem Sohn direkt in die Augen und sagte: »Was immer auch geschieht, du musst mir versprechen, dass du niemals einer von ihnen wirst. Verstehst du?«
    Walter verstand. Durch die Gespräche, die sein Vater mit den anderen Männern im Haus und auf der Straße geführt hatte, wusste er, wen sie mit »ihnen« und mit »unseren« meinten. Er wusste, dass »die anderen« die Nationalsozialisten waren, und nickte stumm.
     
    »Wie Sie sehen, haben wir den Platz komplett mit Seilen abgesperrt, um den Ablauf der Kundgebung nicht zu gefährden«, sagte der Polizeipräsident. »Außerdem patrouillieren zwei Dutzend berittene Polizisten um den gesamten Messplatz.«
    »Ja, ja«, entgegnete Gauinspektor Wetzel abwesend.
    Dann lächelte er und rieb sich die Hände, denn das abgesperrte Areal füllte sich zusehends mit Menschen. Heute würden sie es dem roten Gesindel zeigen. Aus ganz Baden und der Pfalz hatte man SA- und SS-Verbände mobilisieren können, mehrere Tausend Mann. Und auch die Drohbriefe,
    die er dem Polizeipräsidenten in den letzten Tagen geschrieben hatte, schienen Wirkung zu zeigen. Das Debakel vom Montag, als ein paar Tausend Protestler den Triumphzug zur Machtergreifung seiner Partei stürmten, würde sich nicht wiederholen können.
    »Ähm«, der Polizeipräsident räusperte sich, um die Aufmerksamkeit Wetzels zu erlangen.
    »Was?!«
    »Nun, es wäre sehr nützlich, wenn Sie mir noch weitere Informationen über den geplanten Verlauf der Veranstaltung geben würden … Ich meine ...«
    »Diesmal gehört die Straße uns. Ihre Leute mögen sich danach richten!«
    Wetzel lief davon, ohne sich noch einmal nach dem Polizeipräsidenten umzusehen. Am Rande der Tribüne begrüßte er von Jagow, den SA-Gruppenführer Südwest.
    »Ah, Wetzel, da sind Sie, wir sollten in Kürze mit der Kundgebung beginnen. Ich bin übrigens sehr zufrieden mit Ihnen.«
    »Ach ja?«, fragte Wetzel mit gespielter Bescheidenheit.
    »Mein Adjutant schätzt, dass sich hier etwa achttausend unserer Kämpfer versammelt haben. Es wäre gelacht, wenn wir heute diesen jämmerlichen Widerstand, von dem Sie berichtet haben, nicht brechen können.«
    »Selbstverständlich.«
    Ein Trommelwirbel setzte ein.
    »Entschuldigen Sie mich, das ist mein Zeichen«, sagte von Jagow und trat auf die
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