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Die Verfluchte

Die Verfluchte

Titel: Die Verfluchte
Autoren: Claire Gavilan
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Augen.
    „Glynis“, sagte er, ohne sich zu der alten Frau umzudrehen.
    „Ja.“
    Er hörte, wie sie näher trat. Sie blieb nur wenige Schritte von ihm entfernt in dem taufeuchten Moos stehen.
    Er wandte sich um. „Du bist alt“, sagte er. Er empfand keine Freude darüber, sie zu sehen. In diesem Augenblick hätte sein Herz den letzten Blutstropfen aus seiner durchschnittenen Kehle pumpen sollen, aber Glynis hinderte ihn daran, das dafür Nötige zu tun. Sie war schuld an dem, was Rose erdulden musste. Und sie war auch schuld daran, dass das Leiden anhalten würde. Weiter und weiter und weiter.
    Ein feines Lächeln glitt über die faltigen Züge der alten Frau. „Sehr charmant!“
    „Was willst du?“, fragte er. „Warum hast du mich hergerufen? Du wusstest, dass Rose hier sein würde.“
    „Das wusste ich tatsächlich.“ Glynis kam näher. Jetzt erst sah er, dass sie unter ihrem langen, weißen Rock barfuß war. „Es ist Zeit, den Fluch zu brechen“, sagte sie leise.
    Den Fluch ...
    Die Erinnerung an all die furchtbaren Dinge, die er getan hatte, flutete über Alan hinweg und legte sich wie ein Tonnengewicht auf seine Seele. Er musste sich am Türrahmen festhalten, um nicht in die Knie zu gehen, doch gleichzeitig keimte ein Funke Hoffnung in seinem Innersten. „Wirklich?“, wisperte er. Nach all den Jahren und all dem Furchtbaren, das geschehen war, fiel es ihm schwer, der Hoffnung Raum zu geben. Sein Herz fühlte sich an, als hätte er das Messer statt in seine Kehle dort hineingerammt.
    „Ja“, sagte Glynis. „Wenn es uns gelingt, stark zu sein, werden wir den Fluch brechen.“
    „Uns?“ Alan richtete sich auf.
    Glynis rührte sich nicht. Der Wind spielte mit ihren Haaren, und sie sah aus, als würde sie im nächsten Moment davonwehen. „Du bist nicht verantwortlich für all das, was geschehen ist“, sagte sie endlich. Die Worte waren Dornen in seinem Herzen, weil sie eine Lüge waren. „Branwen zwingt dich ...“
    „Hör auf!“ Seine Stimme war voller Zorn. Ihm wurde bewusst, dass er die Fäuste geballt hatte. Kurz zuckte ein Bild durch seinen Geist, das Bild davon, wie er diese Hände um Roses schlanken Hals legte und zudrückte ... „Hör auf!“, brachte er noch einmal hervor. Diesmal flüsterte er. Dann riss er sich zusammen. „Erzähl mir, wie du den Fluch brechen willst.“
    „Ich habe Jahrhunderte in der Anderswelt verbracht. Es gibt einen Weg, er ist kompliziert und wahrscheinlich auch schmerzvoll, aber ich habe die Zukunft gesehen, und ich weiß, dass es uns gelingen kann, ihn zu gehen.“
    Er war sich nicht sicher, ob er das glauben konnte. Er wollte es glauben, mit jeder Faser seines Herzens. Aber es ging einfach nicht. Skeptisch sah er Glynis an.
    „Denk doch nach!“, sagte sie eindringlich. „Was wäre die Alternative dazu, es zu versuchen?“
    Er krallte die Fingernägel in das weiche Holz des Türstocks und schaute auf das Messer auf dem Boden. Er musste Glynis’ Frage nicht beantworten. „Was hast du vor?“ Seine Stimme war nur ein Hauch.
    Glynis lächelte traurig. „Zunächst muss ich ein machtvolles Amulett erschaffen, das in der Lage sein wird, Rose vor dir zu schützen. Silber und Blut und Rosen. Ich habe das Amulett fast fertig, aber eine letzte Zutat fehlt noch. Die Steine. Um sie zu erschaffen, brauche ich deine Hilfe.“ Sie schluckte. Dann erzählte sie ihm, was dazu nötig war: „Euer Blut wird sich in sechs Granate verwandeln, wenn es dir gelingt, bei Rose zu liegen.“
    In ihm wuchs das Grauen ins Unendliche. „Das ist unmöglich!“, hauchte er.
    Sie schüttelte den Kopf. „Ist es nicht. Du hast schon in der Vergangenheit bewiesen, dass du es schaffen kannst, dich gegen Branwen zur Wehr zu setzen.“
    „Da war sie fern. Du weißt genau, dass sie umso mächtiger ist, je näher sie mir ist. Im Moment ist sie auf dem Weg hierher.“
    Glynis deutete auf das Messer zu ihren Füßen. „Und trotzdem wolltest du eben beweisen, dass du dich gegen sie sträuben kannst, Alan. Du hast die Kraft dazu!“ Sie langte nach der Wildrose, die über ihrer Schulter durch die Tür ins Innere der Ruine wuchs. „Die Rosen. Sie helfen dir, den Zwang zu bekämpfen.“
    Er nickte. Er hatte das bereits geahnt, hatte es in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder gespürt. Solange er in der Nähe von Wildrosen war, war er stärker. Er legte die Stirn gegen seinen Handrücken am Türrahmen. „Was, wenn du dich irrst?“
    Glynis musste nicht antworten. Er wusste, was dann
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