Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
Autoren: W Freund
Vom Netzwerk:
zischte er. »Kleiner, schmutziger Teigklumpen!« Er presste die langen Zähne aufeinander, halb besinnungslos vor Wut.
    Jonas sah ihn ruhig an.
    Aus der Fassade löste sich ein Ziegelstein und krachte in die Trümmer der Terrasse. Schutt stob auf – und legte sich wieder. Doch das war nur, was es war, ein stürzender Stein, nichts weiter.
    Irmingasts Brust hob und senkte sich, er atmete schwer, seine langen Finger krallten sich um die Balkonbrüstung. Doch seine Anstrengung war vergebens. Auf welche Bosheit auch immer er aus war, welche Zerstörung auch immer er sich ausmalte – der Hirte hatte all seine Kraft verloren, als Faramunds Figur zerbrach. Ruben hatte Irmingasts Schlüssel zum Spiel zerstört. Auf Irmingasts Geheiß würden keine Wälder mehr niedergemäht, keine Schlösser mehr zermalmt. Die Augen des Hirten hatten sich geschlossen. Die flatternden Lider in der Flüsterstadt waren verschwunden, das blanke, eitle Auge in Lubbes Garderobe hatte zum letzten Mal in den Spiegel gestarrt. Schon jetzt war es so, als hätte es diese Augen nie gegeben.
    Jonas hob den Koffer, so hoch er konnte, und sah in Irmingasts verzerrtes Gesicht. Der Pfarrer wusste, was der Koffer enthielt.
    »Gib sie mir!«, zischte er. »Gib mir die Figuren!« Er beugte sich gierig über die Balkonbrüstung und streckte einen zitternden Arm aus.
    Jonas kümmerte sich gar nicht um ihn. Er legte den Koffer auf eine zerbrochene, lang hingeschlagene Säule, klappte ihn auf und holte langsam heraus, was von Faramund übrig war. Als er Irmingast die Bruchstücke hinhielt, knackte der Balkon. Irmingast winselte und ging in die Knie, bis die Balkonbrüstung ihn völlig verbarg. Jonas hörte ihn hemmungslos schluchzen. Er tat ihm nicht leid. Irmingast weinte bloß um seine verlorene Herrschaft.
    Jonas wandte sich ab und spähte durch die schmutzigen Scheiben ins Vestibül. Er sah in die verstörten Gesichter der Jungen, die keine Jünger mehr waren, und streckte die Arme aus, je ein Stück der Figur auf den offenen Handflächen.
    In die Gruppe hinter den Türen kam Bewegung. Jonas konnte nicht verstehen, was die Jungen jetzt riefen, aber sie sperrten die Augen auf, gestikulierten aufgeregt und zeigten ein ums andere Mal nach draußen. Schließlich riss sich der Erste die Kutte vom Leib, dann der Zweite, der Dritte, der Vierte, schließlich bestimmt auch all die, die Jonas nicht sehen konnte.
    Als die Terrassentüren aufgingen und knirschend gegen den Schutt gedrückt wurden, als er die ersten zaghaften Schritte hörte und sich die Ersten der Jungen ihren Weg durch die verstreuten Trümmer bahnten, da hatte Jonas die Augen schon geschlossen. Er musste einen Platz für diese Jungen finden. Hinter seinen Lidern sah er Callamaar.
    Das Theater stand in alter Pracht, ein gewaltiges Plakat über dem Eingang verkündete in enormen Buchstaben:
    DER GROSSE LUBBE
    IN
    DIE PRINZESSIN FANTASMAGORIA
    Und da kam der berühmte Faun auch schon die Treppe hinab, in leichtem, beschwingtem Trab. Er trug einen Strohhut auf dem Kopf, eine leuchtend rote Binde um den Hals und ließ seinen eleganten Spazierstock tanzen. Jonas spürte den Luftzug. Die ersten Jungen drängten sich an ihm vorbei.
    Kaum hatte Lubbe den Fuß der Treppe erreicht, da drehte er sich um, schob den Hut in den Nacken, sah verzückt zum Plakat hinauf und schnalzte mit der Zunge.
    »Der grrrroße Lubbe«, sagte er zufrieden.
    Die Jungen sah er nicht kommen. Johlend jagten sie die Treppe hinab und holten ihn von den Füßen. Lubbe wusste gar nicht, wie ihm geschah. Er fand sich im Staub wieder, mit geprelltem Hosenboden, und rieb sich verwundert die Augen. Die wilde Horde der Jungs stürmte schon weiter.
    Wer weiß, vielleicht hatten sie ihn gar nicht bemerkt.
    Er lächelte.
    Jonas öffnete die Augen und sah die davonrasenden Jungs gerade noch über die Brücke verschwinden, dahin, wo jetzt kein Schwarzes Kloster mehr war. Am Fuß der Treppe standen seine Freunde in einer endlos langen Reihe. Suleman, Krempel, Tanger und Fiet, Leopold und Grimbert, Arne, Kolman, Tilla und Bror, Walrider, Trut, der große Fängge und der Monokel mit dem schwarzen Haar, Ruben und Arnon Blau und der Wieflinger ganz in Jonas’ Nähe, nur ein paar Schritte die Treppe hinab. Die Jungen waren verschwunden, sie tobten schon durch das alte, das neue Callamaar. Wie unverschämt der Wieflinger grinste!
    Jonas hörte Irmingast wimmern. Dann tauchte sein Kopf noch einmal über der Balkonbrüstung auf. Die Brille war verschwunden,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher