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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
Autoren: Ketil Bjørnstad
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schon lange Sorgen um sie gemacht, und jetzt kam das mit dem Knoten.
    Wie sollte er damit umgehen? Als Arzt war er verpflichtet, mit ihr darüber zu reden. Aber er wußte auch, wie unmöglich das sein würde. Sie hatte ihn nie als ihren Arzt akzeptiert, wollte nicht, daß er ihr gegenüber die sorgende Rolle übernahm. Außerdem war sie keineswegs die schwächere. Er wußte, wie kaputt er selbst war. Daran war das Alter schuld, dachte er oft. Er war jetzt unsicherer als zuvor, und darauf war er nicht gefaßt gewesen. Er hatte geglaubt, daß man sich gerade in den Jahren über Fünfzig genügend Reife, Wissen und Souveränität erarbeitet hatte, um darauf vertrauen zu können. Sein Blick glitt von Mildred Låtefoss zum Fenster und weiter zur Stadt und zum Fjord. »… also ist es wichtig, daß du anwesend bist«, sagte sie. Aber er hatte nicht gehört, was sie sagte. Sie merkte es sofort.
    »Irgend etwas quält dich«, sagte sie mitfühlend.
    »Nein, keine Sorge«, sagte er. »Aber die Tage sind lang«, fügte er entschuldigend hinzu. »Anwesend wo?«
    »Bei der Jahresabschlußfeier«, sagte sie mit einem Lächeln. »Es wird von dir erwartet.«
    »Aber ich gehe doch immer hin«, sagte er.
    »Diesmal ist es besonders wichtig, daß du kommst«, sagte sie. Du meine Güte, dachte er. Wie peinlich. Er sollte offenbar eine Auszeichnung bekommen.
    Die Kollegen meinten es gut. Ärzte wie er wurden in regelmäßigen Abständen geehrt. Das konnte verschiedene Gründe haben, humanitäre Arbeit, eine wichtige Veröffentlichung zur Volksaufklärung. Er dachte mit Grausen an die Feier des Vorjahres, als sein Kollege Ulrik Meidel die ersehnte Ehrung bekommen hatte. Er besaß den gepflegtesten Schnauzbart und das größte Ego in der ganzen Ärzteschaft. Und dann hatte er die Auszeichnung in Silber erhalten. Den Verdienstorden des Königs in Silber! Das war für ihn wie eine Ohrfeige. Als würde er mit dem Stiefelabsatz in den Dreck getreten. Vor aller Augen der Lächerlichkeit preisgegeben. Er war schließlich zu dieser Feier gekommen in der Gewißheit, ausgezeichnet zu werden. Natürlich hatte das Ordenskomitee sich dafür eingesetzt, daß er die Medaille in Gold bekäme und dazu zum St.-Olavs-Ritter erster Klasse geschlagen würde, aber die Entscheidung lag letztlich beim König und seinen Beamten, und im Falle von Ulrik Meidel hatten sie sich aus irgendeinem Grund für Silber entschieden.
    Die Feier wurde deshalb für das Komitee, für die Verleiher des Ordens und für Ulrik Meidel selbst eine schrecklich peinliche Angelegenheit. Ihm kam nicht in den Sinn, daß vielleicht die, die den Orden in Silber bekamen, in der Gesellschaft die besseren Menschen waren. Menschen, die ihr Leben für andere einsetzten, aber nicht über genügend Ego oder Eitelkeit verfügten, um an eine Auszeichnung überhaupt nur zu denken. Muß man sich einer solchen Prozedur aussetzen? dachte Thomas Brenner. Muß man sich derart erniedrigen, um auch zu den eitlen Menschenzu gehören? Soll man so skrupellos sein, sich über eine Ehrung zu freuen, obwohl man weiß, daß es andere gibt, denen sie genauso oder gar noch mehr zusteht?
    Jetzt saß also Mildred Låtefoss vor ihm und wollte ihn zum Mittelpunkt solcher Peinlichkeiten machen, ähnlich der Veranstaltung mit Ulrik Meidel, Silber oder Gold oder nichts. Das war paradox, denn wirklich verdient hätte Elisabeth eine solche Auszeichnung. Das wäre eine wichtige Bestätigung für einen schwierigen Lebensabschnitt, auch wenn er wußte, daß derartige Ehrungen nicht ihre Sache waren. Aber alles, was sie in Rußland geleistet hatte, als die Mädchen klein waren, verdiente eine Auszeichnung. Was ihn anging, fühlte er sich mehr und mehr wie auf dem Abstellgleis, mehr und mehr vergessen. Früher hatte man in Fragen der Allgemeinmedizin seinen Rat gesucht. Er war im Rundfunk und im Fernsehen aufgetreten und hatte sich in der Zeitung zu Wort gemeldet. Jetzt war niemand mehr an seinen Kenntnissen interessiert, alles beschränkte sich auf die übliche Routine in der Gemeinschaftspraxis.
    Aber das konnte er Mildred Låtefoss nicht erzählen. Das würde sentimental, wenn nicht gar pathetisch klingen. Andererseits konnte er diese lächerliche Ehrung unmöglich ablehnen, das wäre sowohl für Mildred wie für das übrige Komitee eine Beleidigung.
    Das Telefon rettete ihn. Es gab nur wenige Gespräche, die die Arzthelferinnen zu ihm ins Sprechzimmer durchstellten. Er entschuldigte sich bei Mildred und griff zum Hörer.
    Noch
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