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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
Autoren: Ketil Bjørnstad
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die 51. Straße hinauffuhren, drückte sie seine Hand. Er küßte sie auf die Wange.
    »Schön, es gesehen zu haben«, wiederholte er.
    »Wie öde es hier ist«, sagte Annika plötzlich. »Wirklich kein Mensch unterwegs. Ist es wahr, daß Präsident Obama hier wohnte?«
    Sie hielten vor einem großen, roten Haus. Die Nebenstraße war gesperrt. Ein Polizeiwagen stand dort. »Hier wohnte er«, sagte die Taxifahrerin. Sie stiegen aus und betrachteten das Haus. Die Polizei hatte eine Warntafel aufgestellt: Jeder, der hier anhält, tut das auf eigene Verantwortung und muß eine Erklärung abgeben. »Wir wollen aber nichts erklären, oder?« sagte Line.
    »Fahren wir weiter«, sagte Annika und schüttelte sich. »Wir haben gesehen, was wir sehen wollten«, stimmte Elisabeth zu. »Jetzt geht es zurück zu ›The Loop‹.«
    Line seufzte theatralisch. »Nicht Hugh Hefner? Nicht Oprah Winfrey?«
    Er fühlte sich schlapp. In dem Augenblick klingelte sein Handy. Der durchdringende, irritierende Ton. Anruf aus Norwegen, wie er an der Nummer sah. Dort mußte esjetzt Abend sein. Er drückte auf den grünen Knopf und erkannte sofort die Stimme von Mildred Låtefoss.
    »Thomas? Tut mir leid, dich zu stören. Du bist in Chicago?«
    »Ja«, sagte er kurz angebunden. »Es paßt jetzt nicht so gut.«
    Sie hörte nicht auf ihn.
    »Es steht in der Zeitung«, sagte sie. »Im Dagbladet .«
    »Was steht da?«
    »Bekannter Arzt schikanierte Patientin mit groben sexuellen Anspielungen.«
    Er schloß die Augen. Das mußte natürlich kommen.
    »Kannst du mir vorlesen?«
    Sie las. Aussagen der jungen Mutter und ihres Ehemannes. Geschlechtskrankheit. Pille. Alles wurde genannt. Ein Bericht aus neutraler Perspektive und ein Satz darüber, daß der Arzt, dessen Namen nicht genannt wurde, um Stellungnahme gebeten worden war, das aber abgelehnt hatte.
    »Aber das stimmt nicht«, sagte er. »Daß ich eine Stellungnahme abgelehnt habe!«
    Plötzlich fiel es ihm ein. Der Anruf an einem Vormittag, während der Sprechstunde. Bei vollem Wartezimmer, vor über einer Woche. Ja, ein Journalist. Wie konnte er das verdrängen? Wollte über Ärzte und sexuelle Belästigung etwas wissen. Da hatte es im Kopf von Thomas Brenner einen Kurzschluß gegeben. Er hatte aufgelegt. Nicht jetzt, hatte er gedacht. Nicht jetzt. Seitdem hatte er nichts mehr gehört.
    »Das ist im Grunde keine so große Affäre«, sagte Mildred Låtefoss. »Aber mit einer ganzen Seite in der Zeitung groß genug. Ich hoffe, du verstehst, daß das mit dem … Verdienstorden unter diesen Umständen schwierig wird.«
    Er fing an zu lachen. Natürlich, dachte er. Das war es, was sie im Kopf hatte! Und sie war böse auf ihn, daß er sich davongestohlen hatte, daß aus ihren Plänen nichts wurde.
    »Das verstehe ich«, sagte er. »Es tut mir wirklich leid.«
    »Ich dachte, es ist am besten, wenn du es sofort erfährst«, sagte sie gekränkt.
    »Ja, das war gut«, sagte er. »Danke, daß du mich darauf aufmerksam gemacht hast.«
    »Die Ärztevereinigung wird die Angelegenheit ja untersuchen müssen.«
    »Untersucht, soviel ihr wollt.«
    Er hörte an ihrer Stimme, daß sie ihn näher an sich binden, in der Rolle der Verbündeten einen Vorwand für neue Treffen herstellen wollte.
    »Ich werde natürlich alles tun, um dir in dieser Sache beizustehen. Wir können uns treffen, sobald du zurück bist.«
    »Das ist nicht nötig«, sagte er.
    »Aber ich erinnere mich daran, was du mir erzählt hast, an dem Tag, als es passierte. Es bedeutete mir so viel, daß du mich ins Vertrauen gezogen hast. Ich werde dich nie im Stich lassen, Thomas.«
    »Danke, Mildred.«
    Er legte auf. Alle außer der Taxifahrerin starrten ihn an. Annika hatte sich vom Beifahrersitz umgedreht.
    »Wer war denn das?«
    »Mildred Låtefoss«, sagte er.
    »Mildred Låtefoss? Was wollte sie denn?«
    »Ich erzähle euch alles heute abend beim Essen«, sagte er. »Eine dumme Geschichte. Ich dachte nicht, daß so viel daraus werden würde. Aber ihr werdet natürlich alles erfahren.«
    »Warum nicht jetzt?« sagte Elisabeth mit bekümmertem Blick.
    »Alles zu seiner Zeit«, antwortete er und versuchte zu lachen. Aber im selben Augenblick begriff er, daß es aus war. Daß sie ihn fertigmachen würden. Die Journalisten. Die Ärzte. Daß der Vorfall an ihm kleben und ihn zerbrechen würde. Daß es nur eine Frage der Zeit war.
    Auf einmal schlug das Herz wieder im normalen Sinusrhythmus. Er mußte fast lachen. Die Paradoxe in seinem Leben. Die
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