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Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Titel: Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
Autoren: Greg Smith
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mich auf Anhieb wohl dort. Ich sah mich um und spürte die energiegeladene Atmosphäre. Ich liebte das Chaos, den Lärm, die Spannung. Ich fand es unglaublich, dass hier de facto Milliardenbeträge zwischen den größten und geschicktesten Investoren der Welt hin und her geschoben wurden. Ich wollte das alles unbedingt durchschauen und dazugehören. Angst empfand ich nicht. Vielleicht war das ein Fehler, aber ich fühlte mich wie zu Hause.
    Am Tag nach dem ersten Open Meeting begann das sogenannte Speed Dating. Im Handelssaal gab es etwa dreißig Gruppen oder Abteilungen. Jedes der Teams hatte rund fünfzehn Mitglieder: einen Partner, zwei oder drei Managing Directors, ein halbes Dutzend Vice Presidents, drei Associates und drei Analysten. Die fünfundsiebzig Praktikanten wurden in Vierer-oder Fünfergruppen aufgeteilt. Im Laufe des Sommers wurden die Gruppen durch so viele Abteilungen wie möglich geschleust. Wir sollten die Abteilungen «beschatten», wie es genannt wurde, und dafür hatten wir immer kleine schwarze Klapphocker dabei. Wir «beschatteten» jedes Team jeweils zwei oder drei Tage lang und versuchten, in groben Zügen seine Tätigkeit zu erfassen, zu helfen und möglichst mehr zu tun, als nur im Weg zu sein.
    Der Hocker. Wir trugen ihn praktisch ständig mit uns herum, denn nirgendwo an den Tischen im Handelssaal gab es Stühle für «Besucher». Wie unsere großen orangen Ausweise an den orangen Bändern verriet der Hocker sofort unseren Status. Er zeigte jedem, dass wir Fußvolk waren, Neulinge, ahnungslose Anfänger. Aufgeklappt war er keine fünfzig Zentimeter hoch. Neben einem der Verkäufer, Händler oder Sales-Trader saß man darauf wie ein Schuhputzer, während der große Meister seinem wichtigen, mysteriösen Tagesgeschäft nachging.
    Dass die Hocker chronisch knapp waren, kam erschwerend hinzu. Ob das vom Management gezielt so eingerichtet worden war, sozusagen als darwinistische Reise nach Jerusalem, habe ich nie herausgefunden. Auf jeden Fall griff sich morgens jeder schnell einen der verfügbaren Hocker. Ein paar Praktikanten gingen dabei unweigerlich leer aus. Das konnte unangenehm werden – vor allem wenn man dann von einem Trader mit den magischen Worte angesprochen wurde: «Setzen Sie sich doch zu mir.» Dann stammelte man eine Entschuldigung und rannte los, um sich irgendwo einen Hocker zu erbetteln, auszuleihen oder zu klauen. Im Handelssaal gab es ein paar Verstecke, insbesondere einen Abstellraum, wo manchmal ein oder zwei Ersatzhocker aufzutreiben waren …
    Das Praktikum war im Grunde eine Tortur. Der Arbeitstag begann morgens um Viertel vor sechs, um sechs oder um halb sieben, je nachdem, wann uns die jeweiligen Teams einbestellten. Tagsüber machten wir uns nach Möglichkeit nützlich. Wie wir unsere Zeit verbrachten – vor allem wie produktiv – hing vom eigenen Einfallsreichtum ab. Weil wir die vorgeschriebene «Series 7»-Prüfung noch nicht abgelegt hatten, durften wir nicht selbst handeln. Wir konnten auch keine Kundengespräche führen oder Anrufe annehmen. Und doch befanden wir uns im Trading-Geschäft, unter vielbeschäftigten Menschen in diesem riesigen Handelssaal. Für einen Sommerpraktikanten machte es einen kleinen, aber feinen Unterschied, ob er nur eine Belastung war – im Weg stand oder hockte und den Leuten auf die Nerven ging – oder ob er irgendeinen Mehrwert für das Unternehmen brachte.
    Anfangs hatten wir noch Orientierungsschwierigkeiten. Die Abteilungen waren nicht gekennzeichnet. Es gab keine Schilder, auf denen «Abteilung Emerging Markets Sales» oder «Abteilung Latin America Sales Trading» oder «Abteilung US Equity Trading» stand. Wir mussten uns durchfragen und mit Hilfe selbstangefertigter Skizzen in diesem Dschungel zurechtfinden.
    Wir mussten Eigeninitiative entwickeln und kreativ werden. Der Mehrwert eines Praktikanten im Unternehmen bestand durchaus schon darin, dass er dem Team jeden Tag den Kaffee brachte. Nicht selten besorgten die Praktikanten auch das Frühstück oder das Mittagessen. Wir klapperten tatsächlich mit Zettel und Stift alle zehn oder fünfzehn Teammitglieder ab und nahmen ihre Bestellungen auf. Eine seltsame Vorstellung, aber an der Wall Street wird auch dies als Hinweis auf die Leistungsfähigkeit eines Mitarbeiters gedeutet. Einer, der ständig die Bestellungen fürs Mittagessen durcheinanderbrachte, würde früher oder später vermutlich auch an anderen Aufgaben scheitern.
    Ich weiß noch, dass es einen Managing
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