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Die Triffids: Roman - Mit einem Vorwort von M. John Harrison (www.Boox.bz)

Die Triffids: Roman - Mit einem Vorwort von M. John Harrison (www.Boox.bz)

Titel: Die Triffids: Roman - Mit einem Vorwort von M. John Harrison (www.Boox.bz)
Autoren: John Wyndham
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Pub zu betreten verschaffte mir für einen Moment das tröstliche Gefühl von Normalität. Von vertrautem Alltag.
    Niemand war zu sehen, aber irgendetwas ging um die Ecke an der Bar vor sich. Ich hörte schweres Atmen. Eine Flasche wurde mit einem »Plopp« entkorkt. Stille. Dann sagte eine Stimme: »Gin, verdammt!«
    Splitternd flog die Flasche gegen die Wand. Es folgte ein trunkenes Kichern.
    »War der Spiegel. Was brauchen wir auch noch ’nen Spie gel?«
    Eine neue Flasche wurde entkorkt.
    »Wieder verdammter Gin«, die Stimme klang beleidigt. »Zum Teufel damit.«
    Diesmal traf die Flasche etwas Weiches, schlug dann dumpf auf dem Boden auf und entleerte gurgelnd ihren Inhalt.
    »Hallo!«, rief ich. »Gibt’s hier was zu trinken?«
    Stille. Dann erkundigte sich die Stimme vorsichtig: »Wer ist da?«
    »Ich komme aus dem Krankenhaus«, sagte ich. »Brauch was zu trinken.«
    »Ihre Stimme kenn ich nicht. Können Sie sehen?«
    Ich bejahte.
    »Dann kommen Sie doch, um Gottes willen, selbst rüber, Doktor, und verhelfen Sie mir zu einer Flasche Whisky.«
    »Gern, auch wenn ich kein Doktor bin«, antwortete ich.
    Im Nebenraum fand ich einen dickbauchigen Mann mit rotem Gesicht und angegrautem Seehundschnauzbart. Er war nur mit Hose und Hemd bekleidet und ziemlich angetrunken. In der Hand hielt er eine Flasche, unentschlossen, wie es schien, ob er sie öffnen oder als Waffe gebrauchen sollte.
    »Wenn Sie kein Doktor sind, wer sind Sie dann?«, fragte er misstrauisch.
    »Ich war Patient«, sagte ich, »habe aber einen Schluck genau so nötig wie ein Doktor.«
    Ich holte eine Flasche Whisky vom Regal herab, machte sie auf und gab sie ihm und ein Glas dazu. In den Brandy, den ich mir selbst einschenkte, tat ich einen Spritzer Soda. Nach dem zweiten Glas zitterten meine Hände weniger.
    Ich blickte zu meinem Gefährten hinüber. Er trank den Whisky unverdünnt und gleich aus der Flasche.
    »Sie werden einen Schwips kriegen«, warnte ich ihn.
    »Schwips?«, knurrte er verächtlich. »Bin ja schon besoffen.«
    Er hatte so recht, dass ich lieber meinen Mund hielt. Eine Weile brütete er vor sich hin, dann verkündete er: »Muss noch mehr saufen, viel mehr.« Er schob sich näher heran. »Merken Sie was? Bin blind, stockblind, sag ich Ihnen. Sind alle blind, stockblind. Nur Sie nicht. Wieso?«
    »Das weiß ich nicht«, antwortete ich.
    »Ist der verdammte Komet schuld. Gestern, die grünen Sternschnuppen – alles blind heut früh, stockblind. Haben Sie gestern zugeschaut?«
    Ich verneinte.
    »Da haben Sie’s. Da haben Sie den Beweis. Sie haben nicht zugeschaut: Sie sind nicht blind. Alle anderen haben zugeschaut« – er schwenkte vielsagend den Arm –, »alle stockblind. Hat alles der verdammte Komet angerichtet, sag ich.«
    »Alle blind?«, wiederholte ich.
    »Alle. Ohne Ausnahme. Wahrscheinlich auf der ganzen Welt.« Dann besann er sich. »Nur Sie nicht. Sonst alle.«
    »Woher wissen Sie das?«, fragte ich.
    »Ganz einfach. Horchen Sie mal!«
    Wir standen nebeneinander an der Bar in dem schmuddeligen Pub und lauschten. Nichts war zu hören – nur das Rascheln schmutzigen Zeitungspapiers, das die leere Straße entlangwehte. Eine solche Stille hatte es in dieser Gegend seit mehr als tausend Jahren nicht gegeben.
    »Verstehen Sie, was ich meine? Ist doch klar, oder?«
    »Ja«, sagte ich zögernd. »Ja, ich verstehe, was Sie meinen.«
    Ich beschloss zu gehen. Ich wusste nicht, wohin. Aber ich musste herausfinden, was los war.
    »Sind Sie der Wirt?«, wollte ich wissen.
    »Und wenn ich’s wäre, was dann?«, fragte er vorsichtig.
    »Ich will nur für die drei doppelten Brandys bezahlen.«
    »Vergessen Sie’s, sag ich. Wissen Sie, warum? Was braucht ein toter Mann Geld? Und ein toter Mann bin ich – so gut wie tot. Nur noch ein paar mehr Drinks.«
    Er sah für sein Alter ziemlich gesund aus, und das sagte ich ihm.
    »Aber was ist das für ein Leben, wenn man blind ist wie eine Fledermaus?«, antwortete er aggressiv.
    Was konnte ich dazu noch sagen? Alles, was ich sagen würde, wäre völlig nutzlos und verdürbe ihm nur die Stimmung. Am Ende suchte er tappend den Weg zur Treppe und verschwand nach oben, die Flasche in der Hand. Ich versuchte nicht, ihn aufzuhalten oder ihm zu folgen. Ich sah ihm nach. Dann kippte ich den Rest meines Brandys hinunter und ging hinaus in die lautlose Gasse.

2 Die Triffids
    2
    Die Triffids
    Dies sind private Aufzeichnungen. Vieles von dem, was sie enthalten, ist für immer verschwunden,
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