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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums
Autoren: Anne de Witt
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Bauch. Die Anspannung wich aus ihrem Körper, als ihr Geliebter sie zärtlich liebkoste, sie schloss die Augen und gab tiefe, vibrierende Töne von sich, halb ein Schnaufen, halb ein Schnurren. Hin und wieder glitt die scharlachrote Zunge aus dem Maul und schlang sich um seine Hand.
    Der junge Mann streifte die Ärmel zurück und warf einen Blick auf seine blassen, haarlosen Unterarme. Was würde seine Frau sagen, wenn sie alle die Narben entdeckte? Zwei oder drei Narben hätte er noch mit Zufall und Ungeschicklichkeit erklären können, aber seine Unterarme waren eine pergamentene Landkarte voll feiner Linien, krumme und gerade, zwischendurch ein paar runde, wo er das Stanzmesser in sein zuckendes Fleisch gedrückt hatte. Er wusste sehr wohl, dass er das unglückliche Temperament seiner Mutter geerbt hatte – ihre hemmungslosen Wutanfälle und ihre Neigung, sich selbst zu verletzen, wenn andere sie verletzten. Aber konnte der Leopard seine Flecken verändern? Nein. Simeon war in dem Wesen seiner Mutter gefangen, wie sein schöner Körper in der Ähnlichkeit mit dem ihren gefangen war.
    Mit einem tiefen Seufzer schloss er die Augen.
    Bartimäus starrte dem Jüngling aus verkniffenen Augen nach. Fahr zur Hölle, dachte er. Welche Sünde hatte er begangen, dass Gott ihn mit diesem Wechselbalg gestraft hatte?
    Wäre er ehrlich mit sich selber gewesen, so hätte er gewusst, dass seine heftige Abneigung gegen Simeon im Grunde auf seinem eigenen Schuldbewusstsein beruhte. Selbstsüchtig, wie er war, hatte er Mevrouw Beatrix, seine junge Gattin, während der Schwangerschaft mit einer Geliebten betrogen – wozu er ein gutes Recht gehabt hatte, wie er sich einredete; schließlich war er kein Mönch, und wenn die rechtmäßige Frau nicht zur Verfügung stand, um die Glut seiner Lenden zu stillen, musste eben eine andere herhalten. In diesem Fall war das eine schöne, zu jedem Abenteuer bereite Französin gewesen, ein geborenes Fräulein Delphine Lafayette, damals Gattin und kurz darauf Witwe eines betagten holländischen Handelsherrn namens Brägens. Was war dabei? Er, Bartimäus, hatte ja nicht die Absicht gehabt, die Französin ihrem rechtmäßigen Gatten auszuspannen. Es war eine kurze, stürmische Affäre gewesen, ein Zwischenspiel, ausgelöst allein von der Ungeduld seiner Männlichkeit.
    Mevrouw Beatrix hatte das freilich ganz anders gesehen. Temperamentvoll und leicht erregbar, hatte sie ihm eine so wütende Szene gemacht, dass er zu fürchten begann, sie könnte tobsüchtig werden, und sie hatte ihm den Fluch entgegengeschleudert, er sollte keine glückliche Stunde mit dem Kind haben, dem unschuldigen Anlass für seinen Ehebruch.
    »Du beleidigst und kränkst mich dafür, dass ich dir einen Sohn und Erben zur Welt bringe«, hatte sie ihn angeschrien. »Nun, du wirst ihn haben, aber er wird dich mehr Tränen kosten als mich!«
    Geweint hatte Bartimäus seines Sohnes wegen bislang nicht, aber geärgert hatte er sich, bis ihm das Herz im Hals klopfte und der Arzt ihn warnte, dass Zornanfälle bei einem korpulenten Mann seines Alters leicht mit einem Schlagfluss enden konnten.
    Nun, er würde ihn nicht mehr lange um sich haben. Java war genau der richtige Aufenthaltsort für einen Sohn, der einem nur Ärger bereitete. Verdammte Kaffern-Insel. Bartimäus selbst war nur kurze Zeit auf seiner Plantage Buitenhus nahe Batavia und den beiden anderen, im Osten der Insel gelegenen, gewesen. Nach einem Aufenthalt von wenigen Monaten hatte er sich geschworen, seine Geschäfte in Zukunft von seiner Heimat aus zu führen. Ja, wenn man sie auf Bildern gemalt sah, war die Insel ein Paradies; einen Augenblick lang hatte er sie auch als ein solches empfunden, als er an seinem ersten Morgen dort auf die Veranda des Gästehauses getreten war und die schwarzen Silhouetten der Palmwedeln gegen einen bronzefarbenen und goldenen Sonnenaufgang gesehen hatte – aber dann war ihm von Neuem der Schwefelgeruch in die Nase gestiegen, der das beste Essen ungenießbar machte. Die rosafarbenen und violetten Orchideen hingen einem von den Bäumen herab ins Gesicht, und Schmetterlinge mit Flügeln so groß wie eine Männerhand flatterten glitzernd herum, aber Luft und Wasser waren verseucht. In der tief im Schwemmland gelegenen Altstadt von Batavia musste man tagsüber die Fensterläden geschlossen halten, damit einem die feuchte Hitze nicht das Hirn im Schädel kochte, und kaum sank der Abend herab und es wurde kühler, konnte man die Fenster schon
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