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Die Traenen Des Drachen

Titel: Die Traenen Des Drachen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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anderen Ende wieder herauskommt!« Loke packte Buls Bart und schob ihm die Haare ins Gesicht. »Kitzel deinen Hals mit den Haaren, dann kommt sie schon wieder heraus!«
    Bul lächelte nicht mehr. Der Gedanke daran, die Wurzel zu erbrechen, war nicht gerade verlockend. Doch er war ein echter Waldgeist, und so stützte er seinen einen Arm auf seinem Knie auf, beugte sich vor und schob das Ende seines Barts in seinen Mund. Zuerst hustete er leicht, doch dann begann es in seinem Hals zu gurgeln. Er ließ den Bart los und begann zu würgen. Dann schloss er den Mund, würgte wieder und spuckte schließlich die Wurzel in den Schnee. Loke wischte sie mit dem Ärmel seiner Jacke ab und hielt sie mir vor die Nase.
    »Die Rote Runde Wurzel! Wir haben sie schließlich doch noch gefunden.«
    »Ja«, sagte Bile. »Nur schade, dass es zu spät ist.«
    Ich habe Loke nur einmal böse erlebt, Kinder, und das war damals, als Bile diese Worte sagte. Das Gesicht des Trolljägers verfärbte sich rot. Er zerrte an seinen geflochtenen Barthaaren und sah aus, als wolle er allein den ewig währenden Winter zum Schmilzen bringen.
    »Mut! Mut! Ihr vergesst das immer wieder! Ihr Waschlappen! Ihr habt kein Recht, den Mut zu verlieren!«
    Vile sank neben mir zusammen und umklammerte mein Bein. Bile versteckte sich hinter Bul, dessen Mund schmal wie ein Runenstrich wurde.
    »Wir haben noch einen Tag und eine Nacht!« Loke hob seinen Arm zum Himmel, als wolle er alle bekannten und unbekannten Götter um Hilfe anflehen.
    »Ihr müsst doch wissen, dass noch so viel geschehen kann, Schüler!« Er spannte seine Brust und schloss die Augen, bevor er ausatmete und sich an die Stirn fasste.
    »Aber ich habe Angst.«
    Er begann seinen Kopf hin und her zu bewegen.
    »Nein, ich sollte nicht auf euch böse sein, meine Schüler. Kommt jetzt, es ist Zeit zum Schlafen. Morgen werden wir klarer sehen. Dann müssen wir das Volk der Großen darauf vorbereiten, was geschehen wird, wenn kein…«
    Bei diesen Worten sah er mich an.
    »Wenn kein Wunder geschieht.«
    Die Waldgeister schoben die Tür auf. Vianis Gesang und Nojs Gelächter strömten uns wie ein warmer Wind entgegen. Dann knirschten die Zargen, und alles wurde wieder still.
     
    Als der Mond am Himmel im Osten aufging, hinkte auch ich wieder hinein. In der Tür drehte ich mich noch einmal um und sah, dass der schmale Schatten jetzt nur mehr die Breite einer Messerklinge hatte. In einem Tag würde Vollmond sein.
    Kirgit half mir, mich neben Noj hinzulegen, und zog mir die Hose aus. Loke bat sie, den Leinenumschlag abzuwickeln, und ich sah, dass die Schwellung bereits zurückgegangen war. Der Trolljäger kaute noch einmal Rinde und schmierte damit die schlimmsten Stellen ein. Dann wickelte er das Leinen wieder um mein Bein und setzte sich zu seinen Schülern an die Feuerstelle. Kirgit hielt meine Hand, während Viani Nojs Pfeilwunde frisch verband. Der Häuptling selbst sah frischer aus als jemals zuvor, nur die Schweißtropfen auf seiner Stirn verrieten, dass er Schmerzen hatte. Er zeigte mir die Narben auf Brust und Bauch, die von einem Bären stammten, der ihn angegriffen hatte, als er noch jung gewesen war und Eindruck bei Viani schinden wollte. Kirgit und Viani lachten darüber. Dann durfte ich den geharzten Wein probieren, den er in dem Schlauch über seinem Bett aufbewahrte und der immer dann hervorgeholt wurde, wenn es für ihn und die anderen Männer Grund zum Feiern gab, weil sie die Kretter im Kampf oder mit einem guten Handel überlistet hatten, und danach lachte auch ich. Er richtete sich an der Wand auf und begann eine Geschichte zu erzählen, wie er Fische aus den Netzen der Kretter gestohlen hatte, bis Viani ihn schließlich bitten musste, sich auszuruhen. Kirgit machte mir neben den Waldgeistern ein paar Decken zurecht und begann gemeinsam mit ihrer Mutter zu singen, bis ich einschlief.

Die letzte Nacht
     
    A ls wir aufwachten, legte Loke einen neuen Rindenumschlag auf meine Beine. Er kaute und spuckte und schmierte die Birkenrinde tief in meine Wunden, betastete dann die Wundränder und sagte, die neue Haut wüchse bereits. Dann drehte er die Leinentücher um und wickelte sie wieder um meine Beine. Jetzt sollte ich die Rinde einfach ein paar Tage auf den Wunden lassen. Sie würde die bösen Wund-Geister fern halten, sagte er lächelnd. Doch sein Gesicht war müde, und in seiner Stimme war keine Freude. Während ich die enge Hose von Kirgit über meine Knie zog, ging er langsam zur anderen
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