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Die Traenen Des Drachen

Titel: Die Traenen Des Drachen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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und die Pferde unter ihrem Dach, doch keine Waldgeister. Also ging ich in einem weiten Bogen wieder um das Lager herum, bis ich erneut hinter den Zelten stand, die ich untersucht hatte. Und als ich meine Jacke unter dem Schulterriemen des Rucksacks zurechtzog, sah ich es. Das Pferd mit den vier kleinen Gestalten über dem Rücken. Die Kretter führten es die Felsenbrücke empor, und in den Händen hielten sie ihre Morgensterne. Ja, ich konnte es gut erkennen. Wie sie das Pferd mit der Peitsche den schmalen Grat emportrieben und die Waldgeister schließlich, nur einen Steinwurf vom Tor entfernt, vom Rücken des Tieres stießen und sie in den Schnee warfen. Einer der Kretter trug ein blaues Gewand. Seine Haare waren so lang, dass sie bis zu seinem Gürtel hinabreichten. Er hob seine Keule über ihnen in die Höhe.
    »Seht unsere Macht!« Er schrie zur Felsenburg hinauf. »Wir haben das Zwergenvolk gefangen! Wir opfern sie für das Kriegsglück!«
    Menschen kamen in den Kalanen zum Vorschein. Ich erkannte sie wieder. Männer und Frauen des Felsenvolkes. Noj und Kirgit. Ich sah, wie schön sie war, und spürte die Wärme in meinem Herzen. Da wusste ich, was ich zu tun hatte.
    Ich hörte meine eigene Stimme. Ich schrie wie ein Rabe.
    Der Kretter ließ seine Keule sinken, und während ich zwischen den Zelten hindurchglitt, kamen die Krieger heraus. Sie umzingelten mich und verfolgten mich mit gezückten Säbeln durch das Lager.
    »Nehmt mich!«, flüsterte ich. Es hörte sich so merkwürdig an. Ich schob mich über den festgetretenen Schnee vorbei an Lagerfeuern, Zelten und einem schlafenden Vokker. Dann erreichte ich die Felsenbrücke.
    »Nehmt mich!«, rief ich. »Lasst die Waldgeister gehen. Lasst das Felsenvolk in Ruhe. Ich bin es, den ihr wollt!«. Die Kretter ließen die Waldgeister, noch immer an Händen und Füßen gebunden, im Schnee liegen. Das blaue Gewand kam auf mich zu, und ich spürte Hände, die meine Arme packten. Die Krieger hielten mich fest, während er mir mit seinem Gesicht ganz nahe kam.
    »Dämon…«, fauchte er, und während der Abgesandte der Kretter wie eine Ratte ausgesehen hatte, war dieser hier eine Schlange.
    »Ein guter Handel… Wir hätten den Verteidigungsring doch nicht durchbrechen können.«
    Dann rannte er zurück auf die Felsenbrücke, schwang seine Keule über dem Kopf und schrie.
    »Die Belagerung ist zu Ende! Wir haben, was wir wollten, Felsenmenschen! Jetzt werdet ihr sehen, wie der Vogelmann brennt!«
    Ich sah Kirgit auf dem Aussichtsposten. Weinte sie dort oben in Nojs Armen? Mehr konnte ich nicht sehen, denn die Kretter drehten mich um und trugen mich mit gestreckten Armen davon. Sie sangen. Sie lachten. Ich weiß nicht, ob sie das taten, weil sie wussten, dass der Kampf vorüber war, oder weil sie mich hinrichten würden. Sie bauten die Zelte ab, rollten die Segeltücher schneller als jeder Seemann zusammen und trieben die Pferde aus der Umzäunung nach draußen. Ich wurde von einem Vokker festgehalten, der mir ins Ohr lachte und auf meine Kopffedern sabberte. Über die Zeltstangen hinweg konnte ich sehen, wie sich die noch immer gefesselten Waldgeister auf der Felsenbrücke herumrollten.
    Nicht weit von mir entfernt schlugen die Kretter einen Pfahl in den Boden, an dessen Fuß sie Zweige und Holzscheite aufstapelten. Sie wollten mich verbrennen, wie in Krett. Erst jetzt musste ich wieder an die schreckliche Hitze denken, die damals unter meinen Stiefeln gebrodelt hatte. Ich wand mich in der Umklammerung des Vokkers und bereute, was ich getan hatte. Ich hatte Angst, denn ich wollte nicht sterben. Als mich der Vokker in den Schnee hinabdrückte, warf ich einen letzten Blick zum Himmel. Doch jetzt flogen keine Vögel. Ich war allein.
    Als mich die Kretter anhoben, war all meine Kraft bereits aus meinem Körper entwichen. Ich hoffte, dass mir die Götter gnädig waren. Konnten sie mich nicht in die andere Welt holen und mir die Flammen ersparen?
    Sie rissen mir die Jacke vom Leib und banden meine Arme an den Pfahl. Es überraschte mich nicht, dass sie auch meine Beine fesselten und das Holz bis zu meinen Knien aufschichteten. Dieses Mal sollte sie niemand daran hindern, mich brennen zu sehen.
    Ich wandte meinen Kopf zur Felsenburg, während sich die Kretter um mich herum versammelten. Die Felsenmenschen standen nicht mehr in den Kalanen. Ich klagte sie nicht an. Aber ich vermisste Kirgit. Sie hätte mir jetzt helfen können – allein ihr Anblick hätte mir gut getan. Sie
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