Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Totensammler

Die Totensammler

Titel: Die Totensammler
Autoren: PAUL CLEAVE
Vom Netzwerk:
heimzukehren, von unvorstellbarer Langeweile gepackt. Ich stehe an der Spüle und starre aus dem Fenster. Der gepflegte Garten ist verdorrt, die Hitze hat so gut wie alles Leben aus den Pflanzen gesogen. Mein Kater, Daxter, kommt herein und wirft mir einen traurigen Blick zu; eine Minute später kehrt er mit einem toten Vogel im Maul zurück. Daxter ist ein übergewichtiger rotbrauner Kater, der für etwas zu fressen dein bester Freund ist. Er legt den Vogel neben meinen Füßen auf den Boden, tritt zurück und fängt an zu miauen. Ich weiß nicht, ob ich ihn tadeln oder kraulen soll. Ich tue Letzteres, dann werfe ich den Vogel draußen in den Kompostbehälter.
    Wie ich erwartet habe – und wie Schroder es erwartet hat –, wandern meine Gedanken zu der Aktenmappe mit den grünen Umschlagdeckeln und den Gummibändern – eine Mappe voller Tod. Es kann nicht schaden, einen Blick hineinzuwerfen. Schro der hofft, dass mir etwas auffällt, was sonst keinem auffällt. Das ist unwahrscheinlich, aber vielleicht finde ich ja tatsächlich einen anderen Zugang. Außerdem muss ich eine Hypothek ab zahlen, ohne irgendeinen Job in Aussicht. Ich nehme die Akten mappe vom Esstisch und gehe damit ins Arbeitszimmer.
    Kapitel 4
    Die Hitze ist unerträglich – wenn auch nicht so schlimm wie heute früh, als Adrian seine Mutter in Brand gesteckt hat, doch es ist immer noch heißer, als ihm lieb ist. Alle jammern über die Hitze. So wie seine Mutter. Sie hat gejammert und gekreischt, bis ihre Zunge in den bunten Flammen am Gaumen kleben blieb, da konnte sie nicht mehr schreien. Die Leute laufen herum und beklagen sich, dass es zu heiß ist, so wie sie vor sechs Monaten herumgelaufen sind und sich beklagt haben, dass es zu kalt war. Die Leute sind einfach nie zufrieden. Adrian mag die Hitze auch nicht, aber er macht keine große Sache daraus. Er weiß, dass man vorsichtig sein muss und sich im Schatten aufhalten und genug Wasser trinken muss. Sonst bekommt man Hautkrebs oder die Haut altert vorzeitig und wird fleckig. Und das möchte er nicht. Wenn ihm zu heiß ist, schwitzt er, sodass die Kleidung am Körper klebt und juckt. Er hasst das, denn der Juckreiz lässt sich nicht genau lokalisieren und wandert weiter, sodass er gezwungen ist, ihm mit seinen abgekauten Fingernägeln zu folgen, bis er sich die Haut blutig kratzt.
    Er hat keine Ahnung, wie man das Autoradio anschaltet. Darum kann er auch nicht die Temperaturdurchsage in den Nachrichten hören, obwohl er das gerne würde. Außerdem hört er gerne Musik, jede Art von Musik, außer dieser Heavy-Metal-Grütze, zu der sich die Fans die Lunge aus dem Hals schreien, oder noch schlimmer, Hip-Hop. Zwanzig Jahre lang hatte er keinen einzigen Song gehört, ein Leben ohne Musik, nur das traurige, verlorene Summen der Menschen, mit denen er zusammenwohnte. Als die Musik in sein Leben zurückkehrte, kam er damit zunächst nicht zurecht. Als hätten sich sämtliche Regeln geändert. Statt von Schallplatte und Kassette hörte man die Songs jetzt auf dem Computer, dabei hatte er keine Ahnung, was ein Computer überhaupt ist, geschweige denn, wie man so ein Ding bedient. Er lauschte den neuen Musikrichtungen und gewöhnte sich daran, und inzwischen kann er nicht mehr ohne sie auskommen. Am liebsten hört er allerdings Klassik. Als Kind mochte er keine Klassik. Früher hat er Zeitungen ausgetragen und sich von dem ersparten Geld Kassetten gekauft. Hat sie gesammelt. Er stand auf Bands und Solokünstler, Sängerinnen mochte er weniger. Jede Woche gab er seinen Lohn für eine neue Kassette aus. All diese Bands und Künstler von früher haben sich nicht besonders gut gehalten, doch klassische Musik ist zeitlos. Inzwischen kann er nicht einschlafen, ohne seinem Kassettenrecorder zu lauschen.
    Das Autoradio ist nicht das Einzige, was nicht funktioniert. Um frische Luft reinzulassen, muss er sich damit behelfen, das Fenster runterzukurbeln. Er hat keinen Führerschein und ist sich nicht sicher, ob er die Prüfung bestehen würde. Allein der Gedanke daran macht ihn nervös. Selbst wenn er sich sämtli che Daten einprägen würde, wenn er wüsste, ob auf den Schau bildern das blaue oder das rote Auto Vorfahrt hat, wie tief das Mindestprofil auf einem Reifen sein muss oder mit wie viel Alkohol im Blut man sich noch hinters Steuer setzen darf, sobald er unter den Augen eines Beamten die Testbögen ausfüllen müsste, wären wie von Zauberhand alle Antworten verflogen. Die praktische Prüfung zu bestehen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher