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Die Toten von Santa Lucia

Die Toten von Santa Lucia

Titel: Die Toten von Santa Lucia
Autoren: Barbara Krohn
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in der Altstadt in einer ruhigen Seitengasse gelegen, verkehrszentral, Blick auf eine der ältesten Kirchen, Sonnenterrasse, Innenhof mit Palmen, alles in einer kleinen netten Fotogalerie anschaulich dokumentiert und vom Preis her erschwinglich.
    Es war Sonja ein Rätsel, wie die Fotos zustande gekommen waren. Vielleicht hatte die Pensionswirtin sich die im Netz gezeigten Ein- und Ausblicke in den Wohnungen von Verwandten und Freunden ausgeliehen und eine Art Collage daraus gebastelt, ganz nach dem Motto: Wie verwandle ich eine Kamera in einen Backstein und eine Bruchbude in einen Hochglanzpalast. Wenigstens stimmte die Lage: Die Pension befand sich tatsächlich im Stadtzentrum. Das war immerhin etwas. Und dieses Etwas lebte, vibrierte, lärmte, und zwar anscheinend rund um die Uhr.
    Irgendwann musste Sonja dann doch eingeschlafen sein, denn mitten in der Nacht wachte sie plötzlich davon auf, dass ein Motorrad mit Getöse quer über ihr Bett fuhr. Sie schrak hoch und stellte erleichtert fest, dass sie unversehrt geblieben war. Nur ihr Traum war ein wenig ramponiert. Sie hatte von dem Mann in der Bar geträumt, der ihren großen Koffer auf den Tresen wuchtete, den Deckel aufklappte und dann ungeniert in ihrer Wäsche zu wühlen begann … die aber gar nicht ihre Wäsche war, sie gehörte einer Französin, die Koffer waren auf dem Flug vertauscht worden, und plötzlich förderte der Barmann ein Blätterteighörnchen zutage und sagte mit triumphierendem Lachen: Mammmmammmmmorrrrra, danach verwandelte er sich übergangslos in Commissario Gentilini, das Cornetto wurde zur Pistole, mit der er den Barmann, der sich als Camorrakiller entpuppt hatte, in Schach hielt, bis ein Motorradfahrer hereinbrauste und direkt auf sie zusteuerte …
    Sie fuhr hoch und brauchte einen Moment, bis sie wieder wusste, wo sie war. Traumtrunken stand sie auf und wankte ans Fenster. Sie stieß die Fensterläden auf und blickte direkt auf die schmutzigbraune, pockennarbige Seitenwand einer alten Kirche. Aus den Rissen im Mauerwerk sprossen Gräser wie die ungepflegten Haare eines Vagabunden. Tief unten lag die Gasse, finster und eng wie eine Schlucht, was jedes Geräusch vertausendfachte. Irgendwo in der Nähe schienen junge Leute mit leeren Blechdosen zu kicken und sich dabei prächtig zu amüsieren. Sonja hörte Hundegebell, eine Polizeisirene, Autogehupe, laute Stimmen. Dann, ganz kurz, wenigstens eine Atempause lang: Stille.
    Es war heiß im Zimmer, eng, stickig. Nicht einmal das Dunkel der Nacht war zum Retuschieren der bedrückenden Stimmung geeignet.
    Mit einer düsteren Vorahnung war Sonja der Pensionswirtin am späten Nachmittag durch den ebenso düsteren, scheinbar endlosen Korridor gefolgt, vorbei an einer Phalanx uralter Neapelplakate und einem bodenlangen Spiegel, der mit dunklen Schichten überwachsen war wie mit Moos. Die Innenwelt, in der sie in Neapel wohnen würde, wirkte verstaubt, muffig und zutiefst deprimierend. Dunkle, schwere Möbelstücke drängten sich im Wohnzimmer zusammen, es roch nach Staub und verschlossenen Türen, nach dem, was bleibt, wenn das Leben längst weitergezogen ist.
    Signora Russo, die Vermieterin, war eine Frau undefinierbaren Alters, vermutlich Ende fünfzig, Anfang sechzig, die sich in einem rosafarbenen T-Shirt mit Mickymausaufdruck, eng anliegenden hellgelben Leggings, blondgefärbten, toupierten Haaren und Tigerpantoffeln vergeblich zu verjüngen versuchte. Anscheinend lebte sie allein, Sonja hatte an ihren Händen keinen Ehering entdeckt.
    Am Ende des verwinkelten Flurs hatte die Vermieterin schließlich mit großer Geste die Tür des Zimmers geöffnet, das sie Sonja zugedacht hatte: eine Art Abstellkammer, die es aus sofort ersichtlichen Gründen gar nicht erst in die Fotogalerie auf der Website geschafft hatte – es gab einfach keinen passenden Blickwinkel für die beabsichtigte Illusion. Aber nüchtern betrachtet war alles da, was der Mensch brauchte: Bett, Waschbecken, Stuhl, Kommode. Toilette und Dusche auf dem Gang drei Türen weiter. Auf dem Bett lag eine fleckige, hellblaue Wolldecke, darauf ein rosa Plüschhase mit selbstgehäkeltem Dress. Über dem Bett hing ein an den Rändern eingerissenes, ausgeblichenes Plakat, auf dem sich unter einem ehemals azurblauen Himmel Pompeji-Trümmer stapelten – als Ersatz für die im Internet gepriesene schöne Aussicht, hatte Sonja mit zugeschnürter Kehle gedacht.
    » Va bene? Gefällt es Ihnen?«
    So ähnlich hatte der Kommissar es auf der Fahrt
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