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Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)

Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)

Titel: Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Autoren: Michael Hjorth , Hans Rosenfeldt
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Reha-Zeit war sie ihm tatsächlich eine unentbehrliche Hilfe gewesen. Wenn er ehrlich war, wusste er nicht, wie er die Wochen seiner Lungenentzündung ohne sie durchgestanden hätte. Sie hatte sich von ihrer Arbeit im Kaufhaus freigenommen und war nicht von seiner Seite gewichen. Doch so dankbar er auch war, das allein reichte nicht.
    Ellinor war eine Haushaltshilfe, mit der er auch Sex hatte, sie war aufopferungsvoll bis zur Selbstaufgabe, grenzenlos in ihrer Bewunderung und nicht ganz normal im Kopf. Und obwohl sein Leben durch sie in jeglicher Hinsicht einfacher und bequemer geworden war, würde er es auf Dauer nicht mit ihr aushalten. Die Alltäglichkeit und Gewöhnlichkeit, die sie mitgebracht hatte, war nur eine Chimäre. Ein Konstrukt, das er eine Zeitlang geschätzt, ja sogar gestützt hatte, jetzt aber nicht länger aufrechterhalten konnte.
    Er war wieder gesund, er hatte vorsichtig begonnen, sich Vanja anzunähern, er hatte aller Voraussicht nach wieder einen Job. Alles in allem der Beginn von etwas, das ein neues Leben werden konnte.
    Er brauchte Ellinor nicht länger.
    Sie musste weg.
    Aber sie loszuwerden würde alles andere als einfach, das wusste er.

[zur Inhaltsübersicht]
    S hibeka Khan wartete. Wie üblich. Sie saß am Küchenfenster im dritten Stock des heruntergekommenen Hochhauses in Rinkeby. Draußen färbte sich das Laub der Bäume allmählich gelb und rot, auf den freien Flächen zwischen den Blöcken lärmten Kinder. Shibeka wusste nicht mehr genau, wie viele Jahre sie schon hier saß und den Kindern beim Spielen zusah. Dieselben Fenster, dieselbe Wohnung, neue Kinder. Außerhalb dieser vier Wände verging die Zeit so schnell. Und drinnen schien sie stehengeblieben zu sein.
    Sie genoss die Stunden, nachdem die Kinder zur Schule aufgebrochen waren und bevor der Tag richtig begann. Sie war sehr aktiv, hatte viele Freunde, arbeitete als Pflegehelferin, besuchte einen Fortgeschrittenenkurs in Schwedisch und machte seit letztem Jahr eine Ausbildung zur Krankenschwester. Doch an jenen Tagen, an denen sie morgens freihatte, saß sie am Fenster und beobachtete das Leben dort draußen. Es war gewissermaßen ihr anderes Leben. Eine Zeit, in der sie Hamid ihre Liebe und ihren Respekt erwies.
    Wenn sie zurückrechnete, würde sie sich wieder genau daran erinnern, seit wie vielen Jahren sie hier schon saß, das wusste sie. Aber in diesem Moment brachte sie es nicht über sich. Sie ertrug es nicht, sich zu erinnern. Ihre Jungen waren das deutlichste Zeichen für die verronnene Zeit. Mehran ging schon in die neunte Klasse. Eyer mühte sich in der siebten ab, ihm fiel das Lernen nicht so leicht wie seinem großen Bruder. Als Hamid verschwand, war Eyer vier gewesen und Mehran gerade sechs geworden. Shibeka erinnerte sich noch, wie ihr Ältester gestrahlt hatte, als sein Vater ihm seinen ersten Schulranzen schenkte – schwarz mit zwei blauen Streifen –, den Mehran zum Schulbeginn im Herbst tragen sollte. Seine dunklen, fröhlichen Augen, die vor Stolz glänzten, weil er jetzt groß war. Die Umarmung von Vater und Sohn. Eine Woche später war Hamid weg gewesen. Wie vom Erdboden verschluckt. Es war ein Donnerstag. Ein Donnerstag vor sehr langer Zeit.
    Merkwürdigerweise hatte sie fast das Gefühl, ihn mit jedem Jahr mehr zu vermissen. Nicht auf dieselbe, intensive Weise, wie sie es anfangs getan hatte, sondern … irgendwie trauriger, schmerzvoller.
    Plötzlich wurde Shibeka wütend auf sich selbst. Jetzt war sie wieder an demselben Punkt angelangt in ihren Erinnerungen. Die sie kaum aushielt. Aber ihren Gedanken war es egal, was sie wollte. Leichtfüßig glitten sie an Shibekas Kontrollversuchen vorbei und fanden immer einen neuen Weg zurück in die Vergangenheit. Zu den Freunden, die ihr damals bei der Suche halfen. Zu den Fragen und der Verzweiflung der Kinder. Zu Hamids bestem Anzug, den sie von der Reinigung abgeholt hatte und der seither vergebens auf ihn wartete. Es war ein Karussell aus Bildern und Augenblicken. Getrieben von der Hoffnung, die Gedanken könnten etwas preisgeben, was sie übersehen hatte, etwas, das alles erklären würde. Aber sie wurde stets aufs Neue enttäuscht. Jedes Detail hatte sie schon tausendmal durchdacht, jedes Gesicht war ihr bekannt. Es war sinnlos.
    Um diesem ewigen Kreislauf zu entrinnen, musste Shibeka an etwas anderes denken. Es war Freitag, und sie wusste, dass er bald kommen würde. Anschließend würde er zwei Tage nicht mehr auftauchen. Eigentlich glaubte sie
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