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Die Tote von Harvard

Die Tote von Harvard

Titel: Die Tote von Harvard
Autoren: Amanda Cross
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Standpunkt vertrat, man könne sich Donne und Herbert nicht mit Methoden der modernen Literaturwissenschaft nähern. Das sei, so behauptete sie, genauso abwegig, als wolle man Shakespeare als unseren Zeitgenossen behandeln. Sie sammelte zeitgenössische Lie-derbücher, das heißt, aus der Zeit von Donne und Herbert. Wäre sie nicht so außerordentlich attraktiv gewesen, ich hätte sie als die langweiligste Frau empfunden, der ich je begegnet bin… «
    Er sah auf, und ihre Blicke trafen sich.
    21

    »Sie war nicht gerade liebenswürdig«, sagte Kate. »Jedenfalls kam es mir so vor.«
    »Ja, sie ermunterte niemanden. Aber sie war einfach so schön, daß sogar den Wissenschaftlern, die sie heruntergeputzt und fertig-gemacht hat, vor Verzückung das Wasser im Munde zusammenlief.
    Im Grunde waren wir natürlich alle hinter dir her, aber…«
    »Mark! Es heißt, daß Janet indirekt um meine Hilfe gebeten hat.
    Kannst du dir erklären, warum sie sich plötzlich auf mich besinnen sollte? Und für wie ernst hältst du den Schlamassel in Harvard?«
    »Die zweite Frage zuerst: Wenn mir die Stellung der Frauen in Harvard am Herzen läge, würde ich die Sache für verdammt ernst halten. Und zufällig haben die Frauen an unseren Universitäten meine Sympathie. Wäre ich wie die meisten unserer männlichen Kollegen, würde ich die ganze Geschichte zum Lachen finden. Jetzt zu deiner ersten Frage, warum Janet dich bitten sollte, indirekt natürlich. Direktheit war Janets Sache nie. Wen gäbe es sonst? Frauen in deinem Alter – unserem Alter –, die an angesehenen Universitäten lehren und genau wissen, was das bedeutet, gibt es nicht gerade wie Sand am Meer. Und wenn es eine solche Frau gibt, mit der man zudem noch gemeinsam Examen gemacht hat und aufs selbe Da-menklo ging, inmitten dieser ansonsten vor Männern strotzenden Gefilde… ja, selbst Janet würde sich auf sie besinnen. Auf dich.«
    »Mark, wenn Harvard dich berufen würde, dort Anglistik zu lehren, würdest du gehen?«
    »Wie der Blitz.«
    »Warum?«
    »Ich hasse New York. In Harvard lehren heißt, auf dem Lande leben und ein Boot haben.«
    »Ich liebe New York. Ich könnte mir nicht vorstellen, mein Leben am Harvard Square zu verbringen, wo alle Leute so unverschämt jung sind.«
    »Harvard einen Besuch abzustatten würdest du aber vielleicht in Betracht ziehen?«
    Manchmal, so sollte Kate bald an Reed schreiben, gehen einem Ereignis viele Vorboten voraus: Plötzlich scheinen alle möglichen Kräfte zusammenzuwirken und es hervorzurufen. Eine dieser Kräfte, eine reife und geistreiche Frau, erwartete Kate an diesem Abend in einem Restaurant. Sie war, wie sie gesagt hatte, auf der Durchreise von Washington. Kate hatte versäumt zu fragen, »auf der Durchreise wohin?«, aber sie sollte nicht lange im ungewissen bleiben.
    22

    »Ich bin auf dem Weg nach Harvard. Ich hab mich von meinem Job beurlauben lassen und werde, ob du es glaubst oder nicht, das neue Dekanat dort oder das Kennedy Center oder beide beraten. –
    Apropos mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Harvard bekommt vernünftige Ratschläge und eine Frau, die sie in ihrer Statis-tik aufführen können, ohne sie auf Dauer am Hals zu haben. Und ich
    – ich mache neue Erfahrungen und habe Gelegenheit dahinterzu-kommen, was zum Teufel dort los ist. Tja, und George kann endlich herausfinden, was er wirklich will: segeln, einen Roman schreiben oder mit Sekretärinnen ins Bett gehen. Und meine Vertreterin in Washington bekommt die Chance, auch einmal ein bißchen Macht zu schmecken. Was mehr könnte man sich wünschen?«
    »Ist George froh darüber?«
    »Kate, meine Liebe, entre nous und so weiter, darüber mache ich mir nicht allzu viele Gedanken. Die Frauen, denen ich das anvertrau-en würde, könnte man natürlich am Fuße eines zweizehigen Faul-tiers, das nur seine halbe Kapazität benutzt, abzählen. Es ist mir nicht gleichgültig, so kann man das nicht ausdrücken, aber ich sitze nicht herum und zermartere mir das Hirn. Ich weiß, so unerhört schnöde dürfen in unserer Gesellschaft eigentlich nur Männer sein. Ich liebe George, diskutiere gern mit ihm, respektiere seine Bedürfnisse, und wenn er in Not ist, kann er sich auf mich verlassen, aber er ist nicht mehr mein ganzes Leben. Diese Einstellung hatten Männer seit jeher ihren Frauen gegenüber. Er wollte aus der Tretmühle heraus, seinen natürlichen Rhythmus wiederentdecken; na ja, du weißt schon. Und jetzt kann er es. Wenn er herausfindet, daß
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